Lizzo, Lindemann, Anti-Flag: Von Fällen und Fallhöhen

Meinung US-Sängerin Lizzo stürzt von ihrem hohen Podest, die Punk-Band Anti-Flag löst sich auf. Aber Rammstein kann trotz zahlreicher Vorwürfe von sexualisierter Gewalt einfach weitermachen? Über einen Unterschied der Fallhöhen
Ausgabe 32/2023
Die Sängerin Lizzo stand lange auf einem besonders hohen Podest. Umso größer ist die Fallhöhe
Die Sängerin Lizzo stand lange auf einem besonders hohen Podest. Umso größer ist die Fallhöhe

Foto: Jamie McCarthy/Getty Images

Das hat geknallt: Eben noch hatte die US-amerikanische Punkrock-Band Anti-Flag ein neues Album herausgebracht, war auf mehreren Konzerten und Festivals in Europa und den USA angekündigt, tourte in Prag – und dann gab es sie nicht mehr. Mit ihrer über 30-jährigen Geschichte galt die Band vielen als Institution. Dann war sie weg, von heute auf morgen. Tour: abgebrochen. Website: offline. Social-Media-Kanäle: gelöscht.

Dem vorangegangen waren Vorwürfe, die sich kaum so nennen lassen, denn: Nie wurde Frontsänger Justin Sane tatsächlich namentlich beschuldigt. Allerdings erwähnte Kristina Sarhadi, eine New Yorker Therapeutin, in einem Podcast den „Sänger einer berühmten Punkband“ – ihr erklärtes Idol. Im Jahr 2010 habe sie diesen getroffen und sei von ihm vergewaltigt worden. Dass sich Anti-Flag kurz darauf auflösten, wird von vielen als indirektes Schuldeingeständnis gedeutet, auch wenn besagter Sänger Tage später dann doch alles abstritt. Die Band wiederum schrieb, die Vorwürfe stünden in „direktem Gegensatz“ zu ihrem selbsterklärten Grundsatz, allen Opfern sexueller Gewalt zu glauben – die Auflösung wäre daher die einzige Option gewesen. Anti-Flag waren eine dezidiert linke Band, die keine Pause zwischen Songs verstreichen ließ, ohne Ansagen gegen Kapital, Nation und das Patriarchat zu machen.

Vorwürfe der sexuellen Gewalt sind für Rammstein kein Imageschaden

Völlig unbeirrt von Vorwürfen tourt derweil eine andere Männerkapelle, die es auch bald 30 Jahre gibt. Nicht im Traum wäre Rammstein-Sänger Till Lindemann oder irgendjemand anderes aus der Band wohl auf die Idee gekommen, die nach wie vor überaus erfolgreiche Gruppe angesichts der Vorwürfe sexueller Übergriffe an Frauen direkt aufzulösen.

Nicht nur ist Rammstein ein millionenschweres Unternehmen, das schlechte Presse schon allein deshalb weniger fürchten muss, weil es jeden Vorwurf schleunigst mit einer aggressiven Medienanwaltskanzlei angreifen kann. Rammstein muss sich offenbar auch ums Image wenig sorgen, denn: Diese Band war nie links. Statt zwischen den Songs Reden über die Opfer sexueller Gewalt zu schwingen, greift Till Lindemann live lieber wortlos zur schaumschießenden Peniskanone. Fallhöhe: Teppichkante.

Rammstein sind keine good boys, wollten das nie sein. Der Imageschaden ist daher, vorerst, kaum so zu bezeichnen. Die Fans stehen zur Band, schreiben im Netz glühende Solidaritätsbekundungen, machen sich über die Opfer lustig, die allesamt nur Aufmerksamkeit suchen würden. Auch die jüngste Enthüllung seitens des Spiegel, dass Till Lindemann im mittleren Alter Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben soll, rüttelte daran bislang nicht. Rammstein-Fans scheint so etwas schlicht nicht zu interessieren, sofern es nicht die eigene Tochter betrifft.

Sängerin Lizzo ist von ihrem Podest gefallen

Nun gibt es einen weiteren Fall mit Höhe: Die US-Sängerin Lizzo soll ihre Tänzerinnen, die sie zahlreich auf ihren Shows begleiten, gemobbt und diskriminiert haben. Drei ehemals in Lizzos Team beschäftigte Frauen klagten vor einem US-Arbeitsgericht. Unter anderem soll Melissa Jefferson, wie der Popstar bürgerlich heißt, eine Tänzerin aufgrund ihrer Gewichtszunahme beschimpft und entlassen haben.

Das knallte doch recht laut auf den Boden: Für viele Fans ist Lizzo mit ihrem Auftreten und ihren Ansagen eine feministische Ikone, gerade in Bezug auf ihren Körper. Die Sängerin streitet alles ab, nannte die Vorwürfe „zu abscheulich, als dass ich sie ignorieren könnte“. Klingt nicht nach Einsicht, eher nach Anwalt. Meine enttäuschte Kollegin Carolina Schwarz schrieb in der taz, der Fall Lizzo erinnere sie daran, „dass es immer nach hinten losgeht, wenn man Menschen auf ein zu hohes Podest stellt“.

Das tut weh und stimmt. Nur: Andere stehen immer noch auf ihren Podesten. Und es will und will nicht knallen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden