Adieu, Republik

Frankreich Hals über Kopf stürzt Frankreich sich in sinnlose Antiterrormaßnahmen, die vor allem eines bewirken: Sie untergraben die Werte der Republik

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Hollande hat es zwar aus dem Umfragetief geschafft, ist dafür aber deutlich nach rechts gerückt
Hollande hat es zwar aus dem Umfragetief geschafft, ist dafür aber deutlich nach rechts gerückt

Foto: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images

Wer hoffte, dass die französische Regierung auf die Anschläge von 2015 mit mehr Offenheit und Besinnung auf die freiheitlichen Werte der französischen Republik reagieren würde – etwa so, wie es der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nach dem Massaker von Utøya getan hatte – der wurde noch in der Nacht vom 13. November enttäuscht: Gegen Mitternacht trat Staatspräsident François Hollande vor die Kameras und kündigte Grenzkontrollen und die Verhängung des Notstandes an. Drei Tage später erklärte er vor dem Kongress (der gemeinsamen Sitzung aus Senat und Nationalversammlung), eine Verfassungsreform durchführen zu wollen, die den Notstand in die Verfassung einschreiben soll und das Aberkennen der französischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll. Die Tragödie nahm ihren Lauf.

Permanenter Notstand

Zunächst begrüßten Rechts wie Links die Verhängung des Notstands nach den Anschlägen vom 13. November; er schien eine adäquate Methode, die Mörder so schnell wie möglich zu fassen. Als er dann schließlich auf drei Monate verlängert wurde, gab es erstes Murren – bis schließlich die Menschenrechtsorganisation „Ligue des Droits de l’Homme“ Klage vor dem Conseil Constitutionnel – dem höchsten französischen Gericht – erhob. Die Klage wurde abgelehnt, der Notstand gilt weiter und soll nun im Zuge der Verfassungsreform in diese eingeschrieben werden. Bisher beruht die Regelung des Notstands auf einem Gesetz, dass noch aus der Zeit der Vierten Republik und mitten aus dem Algerienkrieg stammt.

Im Notstand können Hausdurchsuchungen ohne gerichtlichen Beschluss durchgeführt, Versammlungen verboten, Sperrstunden verhängt und „gefährlichen Personen“ Hausarrest erteilt werden. Eine Maßnahme, die viele Demokratien in schweren Krisen verhängen. Sie sollte jedoch eine Ausnahme bleiben, da sie die Justiz wichtiger Prärogativen beraubt und somit grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates untergräbt. Ein Ende des Notstands ist jedoch nicht in Sicht: In der Debatte um eine erneute Verlängerung erklärte Premierminister Manuel Valls, dass der Notstand solange bestehen bleibe, „bis wir den Islamischen Staat los sind.“ Dass es sich dabei wohl eher um eine Jahrzehntaufgabe als um eine Angelegenheit von wenigen Wochen handelt, dürfte dem zweiten Mann im Staate durchaus klar sein.

Der Entzug der Staatsbürgerschaft hat ein logisches Problem

Bisher können nur jene, die die französische Staatsbürgerschaft angenommen haben und deswegen noch eine weitere besitzen, die französische wieder verlieren. Nun soll dies auch auf jene ausgeweitet werden, die von Geburt an Franzosen sind – aber eben nicht nur. Etwa drei Millionen Französinnen und Franzosen werden so zu Staatsbürgern unter Vorbehalt. Gegen den Terrorismus bringt die Maßnahme nichts – sie soll nur gegen Verurteilte angewendet werden. Es kann durchaus bezweifelt werden, dass sich potenzielle Terroristen von der Drohung des Entzugs der Staatsbürgerschaft eines Staates, den sie hassen und den sie zerstören wollen, so in Furcht und Schrecken versetzen lassen, dass sie brave „citoyens“ werden. Viele überleben ihre Verbrechen ja ohnehin nicht – und wollen das auch gar nicht.

Traditionell hat Frankreich eine andere Auffassung des Konzepts „Nation“, als es hierzulande üblich ist. Franzose ist nicht, wer französischen Blutes ist, sondern wer sich zu den Werten der Republik bekennt und nach ihnen lebt. Ernest Renan drückte das als „alltäglichen Plebiszit“ aus. Zwar existiert Frankreich schon lange in gewisser widersprüchlicher Spannung zu diesem Konzept, doch scheint diese inzwischen bedrohliche Ausmaße anzunehmen. Landauf, landab erklären rechte PolitikerInnen, Frankreich sei ein Land „weißer Rasse“ und „christlich-jüdischer“ Tradition. Muslimen wird zunehmend pauschaler vorgeworfen, ihre Religion sei mit der Republik inkompatibel. Dass sich die Republik ihre Vormachtstellung erst in heftigen Kämpfen mit der katholischen Kirche sichern konnte, wird dabei allzu gerne vergessen.

Aber selbst wenn der „alltägliche Plebiszit“ den Franzosen macht – dann müsste jeder und jede die Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen, sobald er oder sie sich von den republikanischen Werten abwendet. Das bringt eine Vielzahl Probleme mit sich: Was ist antirepublikanisch? Was ist mit der berühmten zweiten Chance des Rechtssystems? Doch vor allen Dingen wäre das ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte: Im 21. Jahrhundert Staatenlose zu schaffen, dürfte der internationalen Gemeinschaft sauer aufstoßen und ist in Frankreich per Gesetz verboten.

Die Linke in der Krise

Seit Beginn der sicherheitspolitischen und demokratietheoretischen Krise hat Präsident Hollande es aus dem Umfragetief geschafft. Bei der zweiten Runde der Regionalwahlen im Dezember schnitt seine regierende Sozialistische Partei erstaunlich gut ab – wohl vor allem, weil viele enttäuschte Wähler doch wieder wählen gingen, um den FN zu stoppen. In den Umfragen, wer Frankreichs Linke 2017 in den Präsidentschaftswahlkampf führen soll, führt bei Nicht-Anhängern linker Parteien der Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der jedoch kaum Rückhalt unter Linken besitzt und sich mit der Behauptung, Unternehmer hätten „oft ein härteres Leben als Angestellte“ neulich der Lächerlichkeit preisgegeben hat.

Doch Frankreichs linke Regierung ist in einem desolaten Zustand. Das hoffnungsvolle Projekt von 2012 hat im Lauf der Zeit viel Unterstützung verloren, verschiedene Gruppierungen sind aus der Regierung ausgetreten, dezidiert linke Minister sind nicht mehr im Kabinett. Nun ist die letzte Ikone, die „letzte Sozialistin“ gegangen: Justizministerin Christiane Taubira, Mutter der „Ehe für Alle“, verließ das Kabinett, um ihren Prinzipien treu zu bleiben. Somit sind endgültig nur noch rechte Sozialdemokraten übrig, wie Premier Valls oder Wirtschaftsminister Macron. Hollande knüpft seine Zukunft an die Entwicklung der Arbeitslosigkeit – die nach wie vor schlecht ist – und der Aufruf einiger Intellektueller, eine Vorwahl, wie die Konservativen, abzuhalten, stößt bei der Partei bisher auf taube Ohren. Da scheint es fast gesichert, dass 2017 die Rechte oder sogar die extreme Rechte in den Elysee-Palast einzieht. Allesamt Leute, denen die Maßnahmen Hollandes oft nicht weit genug gehen. Die Fünfte Republik steckt in einer schweren Krise – in der sie nur verlieren kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

Leander F. Badura

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