Angriff auf jüdischen Studenten in Berlin: Der Krieg als Gewaltbeschleuniger

Meinung Ein jüdischer Student wird in Berlin von einem propalästinensischen Kommilitonen erkannt und so heftig verprügelt, dass er ins Krankenhaus muss. Der Vorfall zeigt, wie der Krieg zwischen Israel und der Hamas Gewalt gegen Juden befeuert
An Gedenktagen zelebriert Deutschland das „Nie wieder“. Jüdinnen und Juden leben derweil zunehmend in Angst
An Gedenktagen zelebriert Deutschland das „Nie wieder“. Jüdinnen und Juden leben derweil zunehmend in Angst

Foto: Ina Fassbender

Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert. Am Freitagabend wurde ein Student der Freien Universität Berlin von einem Kommilitonen so brutal zusammengeschlagen, dass er im Krankenhaus operiert werden musste – offenbar, weil er Jude ist und öffentlich für Israel eintritt. Lahav Shapira, Bruder des Comedians Shahak Shapira, wurde von dem Täter erkannt, weil er in den vergangenen Monaten immer wieder öffentlich für jüdische Belange einstand, auch an der FU. Seiner Begleitung zufolge habe er Lahav auf sein Engagement angesprochen und dann angegriffen.

In einem Interview, das Lahav Shapira dem israelischen TV-Sender Kanal 12 gab – ohne sein geschundenes Gesicht zu zeigen – schildert er den Angriff. „Er verpasste mir ganz plötzlich einen Schlag von der Seite. Dann noch einen, und ich verlor meine Balance“, sagt er auf Hebräisch, einer Übersetzung der Jüdischen Allgemeinen zufolge. „Als ich versuchte aufzustehen, trat er mir ins Gesicht. Und dann, als ich schließlich aufstand, rannte er vom Ort des Geschehens weg.“

Lahav und Shahak Shapira sind die Enkel von Amitzur Shapira, der 1972 in München von palästinensischen Terroristen entführt und ermordet wurde. Beide waren bereits Opfer von antisemitischen Angriffen. Shahak wurde in der Silvesternacht 2014/2015 angegriffen, eine Gruppe türkischer und arabischer Angreifer fügte ihm eine Platzwunde zu. Dabei sollen sie „Fuck Israel“ und „Fuck Jews“ gerufen haben. Lahav war bereits 2009 Opfer einer gewalttätigen Attacke – damals von Neonazis in Sachsen-Anhalt, wo die beiden Brüder mit ihrer Mutter lebten.

Palästina-Aktivisten auf den Spuren deutscher Neonazis

Es ist kein Zufall, wer hier auf den Spuren deutscher Neonazis wandelt. Die Identität des Täters ist nicht öffentlich, doch das Tatmotiv ist – bei aller gebotenen Vorsicht angesichts laufender Ermittlungen – erkennbar: Palästinasolidarität. Seit dem Beginn des Gazakriegs und der Proteste dagegen berichten jüdische Studierende in den sozialen Medien, dass sie sich nicht mehr in die Uni trauen, oder ihre jüdische Identität verbergen. Auch Verbände wie die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) warnen vor dem zunehmenden Antisemitismus an deutschen Universitäten. Nicht, weil es plötzlich organisierte Neonazis gäbe, die auf dem Campus Jagd auf Juden machen würden. Der Grund sind in aller Regel propalästinensische Kommiliton:innen, linke Gruppen, mal mehr, mal weniger migrantisch geprägt.

Protestaktionen an Universitäten sind prinzipiell legitim. Besetzungen von Hörsälen oder ganzen Instituten sind ein klassisches Instrument linker studentischer Selbstermächtigung im nach wie vor autoritär-hierarchischen Universitätsbetrieb. Doch die Aktionen propalästinensischer Gruppen, die beispielsweise an der FU seit Monaten stattfinden, haben den Nebeneffekt, jüdischen Studierenden Angst zu machen. Das schilderten einige von ihnen schon im November dem Präsidenten der FU, Günther Ziegler.

Im Dezember besetzten linke Gruppen einen Hörsaal der FU, Redner:innen bezeichneten Israel als „mordenden Apartheidstaat“ und sprachen ihm das Existenzrecht ab, beschuldigten die FU der Unterstützung eines „Genozids“, weil sie Kooperationen mit der Hebrew University in Jerusalem unterhält. Als jüdische und israelsolidarische Studierende dazustießen, um die Veranstaltung zu beobachten und Widerspruch kundzutun, wurden sie teilweise zunächst am Betreten des Hörsaals gehindert und offenbar als „Scheiß Zionisten“ beschimpft.

Die Freie Universität prüft ein Hausverbot, gut so!

Einer von ihnen war Lahav Shapira. In einem Video, das die Veranstalter der Besetzung veröffentlichten, ist er zu sehen. Die linke Gruppe Migrantifa schrieb dazu, daran sei zu erkennen, „von welcher Seite an der FU die Aggressionen ausgingen“. Das Video machte die Gesichter der jüdischen und proisraelischen Studenten öffentlich, die Darstellung als „jüdische Rechte“ markiert sie als Feinde. Die Konsequenz folgte Freitagabend. Man muss sich das vor Augen führen: Wer an deutschen Universitäten für Israel eintritt, riskiert einen Krankenhausaufenthalt. Und, auch das muss man sagen: Andersrum ist das nicht der Fall. Derart brutale Attacken proisraelischer Aktivist:innen auf Palästinenser:innen sind hierzulande nicht bekannt.

Eine Universität ist gewiss nicht für die Taten ihrer Studenten verantwortlich, zumal außerhalb der Universität. Aber sie ist dafür verantwortlich, einen Lehrbetrieb sicherzustellen, der allen Studierenden eine angstfreie Teilnahme ermöglicht. Schon das ostentative Tragen von Kufiyahs, wie es sich an deutschen Universitäten ausbreitet, trägt zu einem Klima der Unsicherheit für Juden bei. Die FU will mehr tun, auch Räume für Dialog bieten – bei einer Diskussionsveranstaltung vergangene Woche soll es Berichten zufolge sogar sehr zivilisiert zugegangen sein. Doch es ist das Eine, wenn sich Intellektuelle einig sind, das Andere, was die Fußtruppen der Palästinasolidarität treiben.

Exmatrikulationen lässt das Berliner Hochschulgesetz nicht zu, aber Hausverbote kann eine Universität erteilen – das prüft die FU nun im vorliegenden Fall. Das ist gut und sollte Schule machen, denn der Vorfall zeigt: Der sich landauf, landab Bahn brechende Antisemitismus wird in viel zu vielen Fällen durch propalästinensische Aktivisten befeuert. Wo sie die Gewalt nicht selbst ausagieren, liefern sie die Parolen des Hasses, die andere nur noch in die Tat umsetzen müssen. Lahav Shapira konnte auch deshalb identifiziert werden, weil linke Gruppen ihn öffentlich als Feind darstellten. Auch jetzt relativieren einschlägige Gruppen die Attacke, bis an die Grenze der Täter-Opfer-Umkehr. So schrieb der X-Account von „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“, der Angriff könne nicht „antisemitisch“ gewesen sein, weil das Opfer „ein bekannter Provocateur“ sei. Wen diese Tat überrascht, der blickt seit Monaten, ja, seit Jahren, weg.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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