Revolution Was bleiben könnte, wie es ist, müsste nicht gerettet werden. Rettung bedeutet also: Negation, Bewahrung, Erhöhung. Was folgt daraus für linke Politik?
Vor gut 15 Jahren wurde diese Zeitung gerettet. Gegründet 1990, kam der Freitag pünktlich zur Zeitungskrise, die ab Ende der 1990er voll durchschlug: Die Auflage sank, das Unternehmen bekam finanzielle Schwierigkeiten – bis es der heutige Verleger Jakob Augstein 2008 kaufte. Doch mit der Übernahme kamen einige Veränderungen: Nach dem Relaunch 2009 war der Freitag keine „Ost-West-Wochenzeitung“ mehr, sondern „das Meinungsmedium“; das Blatt bekam ein neues Layout, die Redaktion wurde vergrößert. Doch schon vor dem Relaunch tauchten plötzlich vermehrt Anzeigen auf – so wurde etwa in der Ausgabe 48/2008 ein gebrauchter Jaguar XJS, Baujahr 1989, für 20.000 Euro beworben. Das gefiel nicht allen Lesern – eine linke
ben. Das gefiel nicht allen Lesern – eine linke Zeitung, die Luxuskarossen bewarb? Verleger Augstein begründete den Schritt mit ökonomischen Notwendigkeiten. Gab der Freitag seine Unabhängigkeit, ja, seine politische Seele auf, um zu bestehen? Kurzum: Musste er untergehen, um gerettet zu werden?Untergegangen ist er natürlich nicht und es gab und gibt einige Kontinuitäten – inhaltlicher, aber auch personeller Art. Und doch zeigt das Beispiel dieses Blattes: Manchmal muss man sich selbst riskieren, um sich zu retten. Es ist ein Schicksal, das viele linke Projekte teilen. Oft entstanden als dezidierte Kontrapunkte zur bürgerlichen Öffentlichkeit, zur kapitalistischen Vergesellschaftung, werden sie von deren Regeln immer wieder eingeholt. Auch andere linke Medien können davon ein Lied singen: Die deutsche taz und die französische Libération starteten als linksradikale Projekte in den 1970ern und sind heute linksliberale Blätter. Auch die Hausbesetzer-Szene ging diesen Weg. Um die eigenen Projekte zu erhalten, mussten sie legalisiert werden – Miet- und Nutzungsverträge wurden geschlossen, also kapitalistische Spielregeln anerkannt. Spielregeln, nach denen in den letzten Jahren immer mehr solcher Projekte verschwanden, weil die Häuser nun auf wertvollem Grund stehen.Prozesse der Rettung durch Aufgabe haben also etwas mit dem Druck kapitalistischer Verwertung zu tun. Es gibt kein Außerhalb, in das man sich stellen und sagen könnte: Ich mache da nicht mit.Dieser Kraft sind nicht nur linke Unternehmungen ausgesetzt. Man denke nur an die Arbeit der UNESCO. Die seit 1945 bestehende Organisation, betraut mit der Förderung des Friedens durch Wissenschaft, Bildung und Kultur, schlug 1960 Alarm: Durch den Bau des Assuan-Staudamms drohten bedeutende Denkmäler des Alten Ägyptens im Stausee zu verschwinden. Um sie zu bewahren, taten sich 50 Staaten zusammen, gaben insgesamt 80 Millionen Dollar. Ein Stopp des Bauprojektes kam nicht infrage, es blieb also nur eines: Die Tempel von Abu Simbel wurden von 1963 bis 1968 in über 1.000 Blöcke zersägt und 180 Meter entfernt und 64 Meter weiter oben wieder aufgebaut. Rettung durch Zerstörung und Wiederaufbau.Die Aktion gab den Anstoß zum Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, auf dessen Grundlage die UNESCO seit 1975 als Welterbe definierte menschliche Kulturleistungen und Naturdenkmäler vor dem Untergang durch die Verwüstungen der kapitalistischen Produktionsweise zu bewahren versucht.Negation und NotbremseDie scheinbar unselige Verbindung von Rettung und Untergang ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal einer kapitalistisch eingerichteten Welt. Denn zum anderen wohnt dem Vorgang, ja, dem Begriff der Rettung als solchem die Zerstörung, anders gesagt: die Negation, inne. Was bleiben kann, wie es ist, muss ja nicht gerettet werden. Es ist ein dialektischer Prozess, der sich schon in der dreifachen Bedeutung des Wortes Aufhebung, wie Hegel sie deutlich gemacht hat, ausdrückt: Der Gegenstand wird negiert, bewahrt und erhöht.Diesen sich in der Geschichte vollziehenden Prozess hat Marx als gesellschaftlichen – also menschengemachten – erkannt, weshalb sich seine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise auch nicht auf bloße Schmähung beschränkt. Vielmehr verwendet er viele Worte darauf, die Errungenschaften des Kapitalismus zu loben, die erst die Voraussetzungen für die Emanzipation aller sind. So heißt es im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen.“ Der weiteren Entwicklung steht die Herrschaft des Kapitals allerdings im Wege. Und inzwischen nicht nur der weiteren Entwicklung, sondern schlicht der Aufrechterhaltung menschlichen Lebens auf diesem Planeten auf dem jetzigen Stand seiner Ausdehnung.Schon die Revolution, die Marx vorschwebte, ist die Rettung vor den katastrophalen Nebenwirkungen einer auf dem Wertgesetz beruhenden Gesellschaft. In einer Zeit, in der Befreiung gescheitert ist und die Katastrophe ist, „dass es so weitergeht“, wie Walter Benjamin schrieb, ist Rettung indes nicht mehr als Erlösung zu denken, sondern lediglich als die Vermeidung von noch Schlimmerem. Revolutionen sind somit nicht nur die Lokomotiven der Weltgeschichte, sondern auch, so Benjamin in Bezug auf Marx, „der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“.Rettung und GefahrDie Frage nach Rettung ist in einer Epoche, in der die Widersprüche der Kapitalverwertung eine nie da gewesene Zuspitzung erreichen, brandaktuell. Diese kann jedoch nicht als Sprung aus dem Gegebenen heraus, sondern nur als Umwälzung desselben, als produktive Zerstörung, stattfinden. Jeder Versuch, eine Alternative zu errichten, ohne die Verhältnisse umzuwerfen, führt über kurz oder lang in diese zurück. Die Hoffnung der Marxisten war stets, dass das falsche Ganze die Mittel seiner Überwindung selbst hervorbringt – wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, in den Worten Hölderlins. Nach einigen gescheiterten Versuchen der gesellschaftlichen Transformation musste man feststellen, dass dies auch in die andere Richtung gilt: Wo aber Rettung ist, wächst das Gefährliche auch. Wer auf Befreiung zielt, trifft nicht selten die Menschenwürde, weil der Mensch eben ein sperriges Wesen ist.Diese Erkenntnisse müssen Konsequenzen für linke Praxis und Politik haben. Die Antwort auf ein gesellschaftliches Problem ist somit einerseits kein einfaches Bessermachen, sondern aktive, bestimmte Negation – Aufhebung der Verhältnisse. Andererseits ist es auch nicht der ungestüme revolutionäre Utopismus, der Tabula rasa machen will. Aus der Dialektik von Rettung und Zerstörung, von Bewahren und Wandeln gibt es keinen Ausweg.Ist also jeder politische Kampf zum Scheitern verurteilt? Jein. Denn im Scheitern steckt ja auch ein Sieg. Wären die Hausbesetzer nicht den Weg der Legalisierung gegangen, wären sie schlichtweg geräumt worden. Erschienen in dieser Zeitung keine Anzeigen, gäbe es sie nicht mehr.Oder, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Natürlich ist der grüne Kapitalismus der falsche Ausweg aus der Klimakrise. Aber für den Aufbau des weltweiten Öko-Kommunismus fehlt die Zeit. Klima retten heißt also auch das Kapital retten. Was soll man als Linke da tun? Mit verschränkten Armen beleidigt danebenstehen?
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