1991: Fesche Absahne

Zeitgeschichte Bei der Abwicklung von Hörfunk und TV Ost sichern sich West-Seilschaften gut dotierte Jobs, die Chance für eine ARD-Reform wird verspielt. Das wird sich später rächen
Ausgabe 18/2021

Jörg Hildebrandt ist Vize-Intendant des aus der DDR stammenden Hörfunks in der Ostberliner Nalepastraße. Mit dem Theologen Wolfgang Ulllmann hat er 1989 die Bürgerrechtspartei „Demokratie Jetzt“ gegründet, war stets der evangelischen Kirche zugetan und kein Sympathisant einer Blockpartei, deren biegsame Rücken der letzten DDR-Regierung des Premiers Lothar de Maizière so nützlich waren. Hildebrandt hat im Herbst 89 den Umbruch in den DDR-Medien gefördert und sich für die Leitung eines demokratisierten Rundfunks empfohlen.

Am 21. Mai 1991 ist das Schall und Rauch, nichts zählt mehr, nichts geht mehr – der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl (CSU), zuständig für die Liquidation von Fernsehen und Hörfunk im Osten, feuert den in Ungnade Gefallenen fristlos. Hildebrandt habe „zum dritten Mal in schwerwiegender Weise gegen seine dienstvertragliche Treuepflicht verstoßen“, steht im Kündigungsschreiben. Aufrührer aus Anstand und Gewissensnot, hat sich Hildebrandt mehrfach gegen „Dienstanweisungen“ verwahrt, die Mitarbeitern des mit einer Gnadenfrist bis Ende 1991 versehenen Deutschen Fernsehfunks (DFF) wie des einstigen DDR-Rundfunks untersagen, sich öffentlich über die Zukunft ihrer Anstalten zu äußern. Wer dagegen verstößt, muss mit sofortiger Kündigung rechnen. Als Ertrag des Wendeherbstes 89 gefeiert, hat das Recht auf Meinungsfreiheit längst ausgedient.

Auch Hildebrandt bleibt diese Erfahrung nicht erspart, als er an der Seriosität eines Umschulungsprogramms zweifelt, für das CSU-Mann Mühlfenzl nicht nur Gelder der Bundesanstalt für Arbeit ausgeben will, sondern einen CDU-Spezi wie den Ex-Bundestagsabgeordneten Ferdi Breidbach, inzwischen PR-Manager des Tabakkonzerns Philip Morris, anheuert. Der schreitet umgehend zur Tat, um sich bei einer Pressekonferenz in der Nalepastraße der Leuchtkraft eines Overheadprojektors, seines lindgrünen Glitzer-Sakkos wie der Botschaft anzuvertrauen: Masken- und Kostümbildner, Cutterinnen, Redakteure oder Tonmeister der todgeweihten Medienhäuser Ost dürfen auf ein erfülltes Dasein als Reisekaufleute, Steuerberater oder Öffentlichkeitsarbeiter hoffen. „Damit wir alle gedanklich auf einem Level sind“, verkündet Breidbach zwischen zwei Zügen an einer Philip Morris Light American, betone er, das Beste für die „kritische Masse“ der über 50-Jährigen herausholen zu wollen, aus denen sich „leider keine PR-Junior-Berater“ machen ließen. Zunächst seien Basics vonnöten, „die Vermittlung fremdsprachlicher Begriffe wie Recherche und Rhetorik“ etwa. Der Landschaftspfleger in der Bildungsbrache mag die Frage nicht, weshalb sich bei solch fescher Agenda nur 80 Ex-Mitarbeiter von Fernsehen und Hörfunk für seine „riesige Schule“ mit 100 Klassen à 25 erwärmt haben. Dabei kann Breidbach ideologisch vernagelten Ostjournalisten als Lobbyist beibringen, was ein mit der Wirtschaft verwachsener Medienmacher braucht, um zu reüssieren.

In einem Brief an den Personalrat des Hörfunks vom 30. April 1991 hat Hildebrandt diese Umschulung „eine vordergründige, nur auf öffentliche Beruhigung bedachte Maßnahme“ genannt. Dem „extra für diese Aufgabe angeforderten Berater Breidbach“ fehle es an Fachwissen, stattdessen beabsichtige er, „persönlichen Gewinn zu erzielen“. Im Stab Mühlfenzl, dem Bunkerneurosen mitten im Osten nicht fremd sind, liegen prompt die Nerven blank, zumal die DFF-Personalräte beklagen, dass Breidbach mit ihrer Betriebsakademie weder kooperieren noch Verträge mit bereits tätigen Bildungsträgern verlängern wolle. Womit offenbar wird, wie gerechtfertigt Hildebrandts Einspruch ist. Sein Rauswurf ist eine eindrucksvolle Episode, um das Treiben von Konquistadoren zu ermessen, die unter Verzicht auf das demokratische Minimum medienpolitische Landnahme betreiben.

Schon die Wahl Mühlfenzls, des Wunschkandidaten von Kanzler Helmut Kohl, am 15. Oktober 1990 spricht Bände. Der künftige Rundfunkbeauftragte wird in der Ostberliner Außenstelle des Bonner Kanzleramtes von „kommissarischen Landessprechern“ quasi auf Zuruf bestimmt. Dieses Gremium ist durch die einen Tag zuvor gewählten Landtage der fünf Ostländer nicht legitimiert, geschweige denn bereit, andere Bewerber in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist die Abwesenheit von Gesandten der SPD. Manfred Stolpe, designierter brandenburgischer Ministerpräsident, findet „diese Arroganz der Macht zum Kotzen“.

Doch können die Sozialdemokraten lamentieren, so viel sie wollen – einmal im Amt, lässt sich Mühlfenzl nicht darin beirren, die klassische Seilschaft leitender Herrn um sich zu scharen. Neben Breidbach zählen dazu Volkram Gebel (CDU), alsbald Gründungsbeauftragter des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Helmut Haunreiter (CSU), Beauftragter für Berlin, Rolf Markner (CDU, später MDR-Verwaltungsdirektor) und Pressesprecher Matthias Gehler (CDU). Die Unionsparteien führen vor, dass nicht lange gefackelt wird, wenn sich Medienmacht als politische Macht mit Händen greifen und festhalten lässt. Angesichts absehbarer sozialer Umbrüche im Osten soll das Ostfernsehen kein Störfaktor sein. Vorsorglich verfallen die Noch-DDR-Belegschaften von Fernsehen und Hörfunk einem wahren Abwicklungsfuror. Die Devise Kahlschlag wird erst recht plausibel, als für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt im Januar 1991 der MDR als Dreiländeranstalt auf die Schiene gesetzt ist. Das in kurzer Zeit rekrutierte Spitzenpersonal bürgt dafür, den Sender rechtskonservativ und CDU-affin auszurichten. Als Intendant vorgesehen ist Udo Reiter, zwar parteilos, aber Mitglied der CSU-Medienkommission und bestens vernetzt mit der Entourage um Mühlfenzl. Ihm winkt, wie der Stern am 26. September 1991 schreibt, ein Jahresgehalt von 360.000 DM, womit er deutlich über den 198.000 DM liegt, die dem Ministerpräsidenten Stolpe (SPD) als Salär zugedacht sind. Fernsehdirektor am anfänglichen MDR-Sitz in Dresden wird Henning Röhl, Ex-ARD-aktuell-Chefredakteur. Ulrike Wolf, wegen ihrer CDU-Affinität als NDR-Chefredakteurin ohne weitere Aufstiegsperspektive, übernimmt als Direktorin das Funkhaus in Dresden, Ralf Reck, bis dato Fernsehdirektor in Hamburg, das in Magdeburg. Was sie eint, sind CDU-Nähe oder -Parteibuch und die Aussicht auf Jahreseinkommen um die 240.000 DM, was einer neuen Anstalt wie dem MDR Ausgaben beschert, die sich im Gesamtetat nicht lumpen lassen. Da früher oder später die Versorgungsansprüche der dann pensionierten Medienkommissare zu Buche schlagen, sind Gebührenanhebungen stets willkommen.

Woran vor 30 Jahren im Übermut der Übernahme kaum jemand zu denken wagt, das ist die Frage, ob die Neuordnung des Rundfunksystems Ost Anstoß für eine ARD-Reform überhaupt sein könnte. Sollte man nicht durch Verzicht auf Kleinstaaterei zukunftsfähiger werden, an Effizienz und Programmqualität gewinnen? Je krisenresistenter und innovativer sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen als Player im bundesdeutschen Mediensystem behauptet, desto höher womöglich die Akzeptanz. Eine fällige Strukturreform könnte den Hessischen, Saarländischen und rheinland-pfälzischen Rundfunk zu einem Südwestfunk fusionieren, mit der Option, auch Baden-Württemberg in diesen Verbund zu holen. Das notorisch klamme, auf den ARD-Finanzausgleich angewiesene Radio Bremen könnte der NDR auffangen, der „rote“ WDR und die „schwarzen“ Bayern blieben für sich. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin würden sich auf die Mehrländeranstalt NORA einigen, eine „rote Nordschiene“ für diesen Fall im Osten die „schwarze Südschiene“ des MDR kompensieren. Nur noch sieben Sendern käme so mancher Synergieeffekt zugute. Leider ächtet das föderale System die ökonomische Vernunft. Welcher Ministerpräsident verzichtet schon auf „seinen“ Sender, zumal unter Rundfunkgouverneur Mühlfenzl vorexerziert wird, wie man Pfründen erobert und sichert.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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