Wer wen wozu auf der Krim attackiert hat, ob der russische oder eher der ukrainische Geheimdienst Legenden verbreitet, lässt sich nicht klären. Woran man sich halten kann, ist die Aussage von Wladimir Putin, wonach weiteres Verhandeln im Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich keinen Sinn mehr ergibt. Da jenes Forum bisher als diplomatischer Überbau des Minsk-II-Vertrages gilt, wird dem russischen Präsidenten nachgesagt, er wolle aus dem Minsker Prozess aussteigen. Was nachvollziehbar wäre, nachdem die Kiewer Regierung nie wirklich eingestiegen ist.
Es könnte in Berlin oder Paris manchem Kurzzeitgedächtnis entfallen sein: Als am 12. Februar 2015 in der weißrussischen Hauptstadt das Abkommen ausgehandelt war, lautete dessen Kernaussage, dass die prorussischen Volksrepubliken im Donbass formal Teil der Ukraine bleiben, doch auf weitgehende Autonomie rechnen dürfen. Die sollte sowohl in einer reformierten Verfassung wie einzelnen Gesetzen verankert sein. Was lässt sich nach anderthalb Jahren vorweisen? Bis auf eine brüchige Waffenruhe so gut wie nichts. Das in Kapitel drei von Minsk II vereinbarte „Gesetz über den besonderen Status des Donbass“ wird vom Parlament in Kiew blockiert. Das unter Kapitel sechs erwähnte Dekret über eine Amnestie für Teilnehmer „an Kriegshandlungen in einzelnen Bezirken der Regionen Donezk und Luhansk“ lässt ebenso auf sich warten, wie das für in Kapitel acht angemahnte „Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage im Donbass“ zutrifft. Stattdessen hat die Regierung Poroschenko sämtliche Sozialtransfers in die Region der Abtrünnigen gekappt. Wer als Pensionär innerhalb des Donbass lebt, muss sich seine Rente außerhalb des Donbass abholen. Oder darauf verzichten und auf Alimentierung durch Hilfe aus Russland oder durch den ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow hoffen.
Normandie und Minsk II – oder gar nichts
Die Kiewer Versäumnisse werden von der deutschen Normandie-Diplomatie zwar eingeräumt, aber geduldet. Zu mehr scheint man weder willens noch fähig zu sein. Nach Gründen für diese Konzilianz muss nicht groß geforscht werden. Die ukrainische Seite bleibt um ihrer selbst willen auf ein konfrontativen Verhältnis zu Moskau bedacht. Nur dann lassen sich die Schutzmächte EU und USA in permanente Bringschuld versetzen. In ökonomischer Hinsicht wird die eingelöst, indem durch Kredite ein Kollaps des hochverschuldeten Staates vermieden wird. Die Kiewer Gegenleistung müsste in einem konstruktiven Umgang mit Minsk II bestehen, was durch die Normandie-Partner Deutschland und Frankreich nur um den Preis eines Loyalitätskonflikts mit den Kräften in der Ukraine zu erzwingen wäre, die man an der Staatsspitze halten will.
Ehe man sich in solcher Stagnation allzu sehr einrichtet, hat Wladimir Putin die Alternative ins Spiel gebracht, Normandie und Minsk II – oder gar nichts. Schließlich beschädigen Deutschland und Frankreich ihre eigene Minsk-Diplomatie, wird es Kiew weiter gestattet, deren Ertrag zu missachten. Im Übrigen dürfte es Russland auf Dauer zu teuer sein, den Donbass allein zu unterhalten. Auch das leuchtet ein, solange die Ukraine diese Region weiter beansprucht, aber wie feindliches Ausland behandelt, das ökonomisch ausgehungert wird. Der Ausweg kann nur Minsk II heißen. Mit diesem Vertrag wurde eine Realpolitik betrieben, mit der Kräfteverhältnisse anerkannt wie Risiken erwogen wurden, falls das unterbleibt.
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