Hans Modrow: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kondolierte seinerzeit halb anonym

Meinung Frank-Walter Steinmeier, der sonst viel redet und bekennt, wollte im Fall Modrow offenbar nicht auffallen. Die Gefahr, daraufhin medial geschreddert zu werden, schien wohl zu groß
Hans Modrow bewies mehr Zivilcourage als ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seinem Tod zukommen ließ
Hans Modrow bewies mehr Zivilcourage als ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seinem Tod zukommen ließ

Foto: Imago / United Archives

Am 10. Februar 2022 verstarb Hans Modrow, SED-, PDS- und Linken-Politiker, dazu vorletzter Ministerpräsident der DDR 1989/90. Wie einem Artikel der Berliner Zeitung vom 19. September 2023 zu entnehmen ist, kam seinerzeit kein Vertreter der Bundesregierung zur Beisetzung, geschweige denn, dass Modrow gewürdigt wurde oder auch nur ansatzweise die Überlegung aufkam, ihn durch eine offizielle Trauerfeier zu verabschieden.

Nun hat Modrows Witwe Gabriele Linder in einem Erinnerungsbuch, auf das sich besagter Artikel bezieht, offenbart, dass ihr – ohne Absender auf dem Couvert – eine Kondolenz des Bundespräsidenten zuging, die von einem Fahrer abgegeben wurde.

Phänomenale Leistung

Die Frage, weshalb under cover und halbanonym Beileid übermittelt wurde, kann ohne allzu große Mutmaßungen beantwortet werden. Frank-Walter Steinmeier, der sonst viel redet und bekennt, wollte in diesem Fall nicht auffallen. Die Gefahr, daraufhin medial geschreddert zu werden, war groß und real. Wie konnte er es als Staatsoberhaupt wagen, einen überzeugten Sozialisten öffentlich zu würdigen, der nicht abgeschworen hatte und sich viel darauf zugute hielt, es nie auch nur erwogen zu haben.

Steinmeier hat eine angemessene Reaktion auf den Tod Modrows offenkundig nicht als opportun empfunden. Das ist für ein Land, das zusehends Demokratie mit Stimmung verwechselt, nicht verwunderlich. Es bedarf einer über die Möglichkeiten eines und speziell dieses Bundespräsidenten hinausreichenden Zivilcourage, um unumwunden zu sagen oder zu schreiben, dass es entscheidend Hans Modrow zu verdanken war, wenn im Herbst 1989 beim Umbruch in der DDR und der offenen Grenze, die nicht nur Staaten, sondern Systeme trennte, kein Schuss fiel. Niemand kam zu Schaden. Und das bei einem Sicherheitsapparat, den das heute vorherrschende Gesichtsbild als hochgerüstet und brutal, skrupellos und rücksichtslos kolportiert. War das so, hat Modrow eine phänomenale Leistung vollbracht, wenn er diese Kräfte damals in Schach hielt. Trifft es nicht zu, ist einer der Fäden gerissen, an denen die seit 1990 betriebene Delegitimierung der DDR hängt.

Sieger der Geschichte

Beide Deutungen können freilich der persönlichen Integrität nichts anhaben, mit der Modrow die DDR bis zum April 1990 durch Selbstaufgabe und Untergang zu führen verstand. Dies wiegt schwerer als die Regierungszeit des Nachfolgers Lothar de Maizière (CDU-Ost). Da waren die Weichen gestellt und blieben es. Die DDR-Bürger wussten, was auf sie zukam. Das war im Herbst 1989 anders.

Letztlich zeigt sich im Verhalten gegenüber Hans Modrow die gleiche Schäbigkeit, wie sie auch beim Umgang mit Erich Honecker nach dessen Sturz bezeichnend war. Der wurde während seines BRD-Besuches im September 1987 fünf Tage lang hofiert. In Ostberlin gaben sich westdeutsche und Westberliner Spitzenpolitiker bis zuletzt die Klinke in die Hand und lobten den „konstruktiven Dialog“ mit dem DDR-Staatschef: der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ebenso wie die SPD-Politiker Björn Engholm, Hans-Jochen Vogel und Herbert Wehner oder CDU-Spitzen wie Lothar Späth und Wolfgang Schäuble, um nur einige zu nennen.

Aber dann besiegelte die Männerfreundschaft zwischen Helmut Kohl und Boris Jelzin Honeckers Auslieferung im Sommer 1992 aus Moskau nach Berlin-Moabit. Er musste in die gleiche Haftanstalt, in die ihn 1935 schon die Gestapo gebracht hatte. Wozu als „Sieger der Geschichte“ Sensibilität gegenüber der Geschichte walten lassen? Dies wurde als überflüssig erachtet und taugt bis heute zur Lektion über Anstand und Gewissen. Es wurde versucht, die Geschichte um das zu betrügen, was ihr nicht zu nehmen ist: ihre Unbestechlichkeit, mit der sie auf den Punkt bringen kann, wer weshalb und wie handelt. Bei dem, was Honecker widerfuhr, ist das nicht anders als bei der Respektlosigkeit gegenüber Hans Modrow. Man kann nur hoffen, dass sich mehr Ostdeutsche als bisher dessen bewusst werden.

Bliebe zum Thema Zivilcourage noch etwas anzumerken: Es war 1957 nicht zuletzt Hans Modrow, der sich als Sekretär des FDJ-Zentralrates dafür einsetzte, dass der DEFA-Spielfilm von Regisseur Gerhard Klein Berlin – Ecke Schönhauser, der ein realistisches Bild Ostberlins zu Zeiten der offenen Grenze zeichnete, nicht auf den Index kam, sondern zu einem DDR-Kinoerfolg wurde. Aber das war natürlich Zivilcourage im Unrechtsstaat und ist nicht mit dem zu vergleichen, was damit heute im Rechtsstaat abverlangt wird.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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