Nach Chemnitz

Straßenterror-Tage Der rechte Mob ist nach Chemnitz zur politikbestimmenden Kraft avanciert. Die Botschaft: Wer hier leben darf, bestimmen wir. Skizzen einer Woche, die Folgen haben wird

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Was wird sich nach Chemnitz ändern?
Was wird sich nach Chemnitz ändern?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Auch wenn das Niederstechen eines Menschen ein schlimmer Vorfall ist, der sich durch wenig rechtfertigen lässt, tut man gut daran, Anlasskette sowie das Handeln der beteiligten Akteure in fast jeder Hinsicht kritisch zu hinterfragen. Dies beginnt bereits beim Auslöser – einer Stadtfest-Auseinandersetzung zu frühmorgentlicher Stunde mit (soweit bekannt) fünf Beteiligten und einem Toten. Obwohl in den Stunden danach naturgemäss wenig bekannt sein KONNTE, gelang es den rechten Netzmedien aus dem Stand, eine – großteils auf Fake News, Gerüchten und Behauptungen basierende – Mobilisierungskette auf den Weg zu bringen.

++ »»Syrer und Iraker metzeln Opfer mit 25 Stichen nieder! Das Abschlachten geht immer weiter!« – AfD-Bildslogan von Alice Weidel auf ihrer Facebook-Seite ++

Verstärkt wurde der sich rapide aufbauende rechte Netzfuror durch das zögerliche, nachgebende sowie indifferente Verhalten von Polizei, Politik sowie einem Großteil der Medien. Die Polizei hielt sich bezüglich Angaben zur Herkunft der beiden mutmaßlichen Täter vielsagend bedeckt – ein Tenor, der von den berichtenden Medien unreflektiert übernommen, »Köln«-Assoziationen wie giftige Pilze spriessen lassen musste und erst ab Montag zugunsten einer fallorientierteren Berichterstattung modifiziert wurde. Nachfragen, kritische oder investigative Berichterstattung gab es nicht nur in dieser frühen Phase nicht. Speziell die öffentlich-rechtlichen Anstalten fuhren bereits am Sonntag eine hinhaltende, in der Sache rumeiernde Nachrichtenlinie. Fazit hier: Anstatt auf den Dorfkirmes-ähnlichen Charakter der tödlich geendeten Auseinandersetzung zu fokussieren und die kursierenden Märchen der Rechten zu hinterfragen (etwa die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit einer oder mehrerer Frauen nachts um drei in der Gesellschaft dreier Kerle, die in handfeste Stadtfest-Troubles verwickelt sind), wurde die triumphalistische Aufrechnungspropaganda der Rechten in der Sache großteils akzeptiert und mit der üblichen Dosis volkspädagogischer Besorgnisberichterstattung beantwortet.

++ Trauer und Betroffenheit ausdrückende Hashtags besorgter sächsischer Bürger(innen) auf Twitter u. a.: #messermigration, #Überfremdungswahn, #NSJETZT, #NTNLSCLST ++

Dass der Tod des Deutsch-Kubaners Daniel H. lediglich ein willkommener ANLASS war (und zwar sowohl für die aufspringenden Rechten aller Couleur bis hin zum Gros der ortsansässigen Bevölkerung), zeigte die Prelude der Chemnitzer Pogromtage am Sonntagnachmittag/-abend. Ermöglicht – man kann auch sagen: materialisiert – wurde der Umstand, dass über Stunden ein mehrere hundert Personen starker rechter Mob weite Terrains der drittgrößten Stadt Sachsens übernahm und Jagd auf Andersaussehende sowie anwesende »Lügenpresse«-Vertreter machte, allerdings erst durch die bekannte Hände-in-den-Schoss-legen-Strategie der sächsischen Polizei.

Alarmstufe Rot war so eigentlich bereits nach den Ereignissen vom Sonntag angebracht. Eigentlich. Obwohl die rechten Hassmedien zwischenzeitlich ihre volle Power unter Beweis gestellt hatten (und mittlerweile handfeste Erfahrungswerte vorlagen bezüglich Kurzzeit-Mobilisierungsfähigkeit sowie »Menpower« der rechten Vigilanz-Rackets), wurde die – wie gewohnt zwischen Dackelköpfigkeit und Bauernschläue changierende – Hinhaltepolitik von sächsischen Landesbehörden und sächsischer Polizei auch im Hinblick auf die für Montag angekündigte Aufmarsch-Wiederholung für bare Münze genommen. Ergebnis: der bisherige Höhepunkt des Gleichklangs von CDU-Landespolitik und Rechtsextremismus im Freistaat – einer der größten rechten Aufmärsche seit den Tagen von Hoyerswerda und Rostock, verbunden mit ähnlichen Jagdszenen und auch hier verbunden mit einer Polizeistrategie, die kaum noch verhehlen will, dass es ihr angelegen ist, den Aktionsradius des rechten Mobs nach Kräften auszudehnen.

++ »Unglaublich. Neonazis versuchten gerade einen Durchbruch, schmissen Flaschen und Böller auf Gegendemonstration und jetzt lässt die @PolizeiSachsen sie trotzdem aus dem Kessel und loslaufen. Sie brüllen Passanten an: ›Ich schieße euch ab Ihr Kanacken!‹« Teilnehmer-Impression auf dem Gegendemonstrations-Hashtag #c2708 ++

Dass die Rechten den 27. August 2018 als veritablen Sieg abfeiern (inklusive dem Umstand, dass sie den Gegendemonstranten zahlenmässig deutlich überlegen waren), liegt auf der Hand. Der 27. August ist allerdings mehr: Die demokratische Kultur im Freistaat dürfte sich von diesem Schock nur schwer erholen; nicht auszuschließen, dass ihr die Ereignisse von Chemnitz den Todesstoss versetzt haben. Doch auch für die demokratische Kultur in Nichtsachsen-Deutschland bedeutet der gestrige Tag eine Zäsur – einen GAU, von den sich aktuell nur schwer sagen lässt, wie weitgehend er die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Parameter im Land verändern wird.

Sicher werden die einschlägigen Stimmen nicht fehlen, die in den kommenden Tagen und Wochen auf Sachsen zeigen. An der Choreografie der Ereignisse nicht unmaßgeblich mitbeteiligt war allerdings auch das Gros der staatstragenden Medien. Speziell hier zu nennen sind die öffentlich-rechtlichen Sender, voran ARD und ZDF. Während im Zug der Hamburger G20-Tage eine fast 24stündige Permanenzberichterstattung aufgefahren wurde, offerierten tagesschau/tagesthemen sowie ihre – kürzlich bereits in den Genuss freistaatlich-polizeilicher Berichterstattungsmaßnahmen geratenen – Mainzer Kollegen vorzugsweise wochenschauähnliche Formen sich wiederholender Zusammenfassungsberichterstattung, Expertenbefragungen aus dritter Hand sowie Info-Notversorgung. Mit anderen Worten: Ihrem Staatsauftrag sind die staatlichen Anstalten allenfalls in Teilen gerecht geworden; investigative, recherchierende, zeitnahe Info-Berichterstattung zu den Ereignissen am 27. August lieferten vor allem das üblicherseits verdächtige Neue Deutschland sowie Spiegel Online.

Möglich, dass sich der Dienst nach Vorschrift absolvierende, sich großteils am gängigen Links-Rechts-Spin entlanghangelnde Nachrichtenservice der sogenannten Leitmedien als eines der geringeren Probleme erweisen wird, die sich aus dem Komplett-Zusammenbruch demokratischer Normen ergeben, wie es in Sachsen die Tage geschehen ist.

++ siehe auch: Kommentar zum sächsischen Demokratiedesaster von Jakob Augstein bei SPON ++

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden