Im Narco-Staat Belgien ist nicht einmal mehr der Justziminister sicher

Kokain Aus den Niederlanden operierende Rauschgift-Gang­ster schlagen zurück und lassen es in Antwerpen je­de Wo­che knallen. Justizminister Vincent Van Quickenborne muss sich nun seit mehr als einem Monat in einem „Safe House“ verstecken
Ausgabe 44/2022
Der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne steht auf der roten Liste der Rauschgift-Banden
Der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne steht auf der roten Liste der Rauschgift-Banden

Foto: Imago/Belga

Ursprünglich auf Pablo Escobars Kolumbien gemünzt, wird seit Neuestem auch Belgien „Narko-Staat“ genannt. Da der Hafen Antwerpen unvollständig automatisiert ist, nur ein Prozent der Container kontrolliert wird und ein einzelner käuflicher Zöllner auch schon mal eine Million verdienen kann, wird Europa maßgeblich über Antwerpen mit Kokain versorgt. Als die Behörden die Kommunikation der Narko-Barone knackten, sprach der belgische Bundesanwalt von einer „alle Ebenen der Gesellschaft“ erfassenden Korruption, von einer „Welt, aus der die Moral völlig verschwunden ist“. Zwar wurden 1.200 Verdächtige verhaftet, die aus den Niederlanden operierenden Gangster schlugen aber zurück: In Antwerpen knallt es nun jede Woche, in September gelang es ihnen fast, mit Kalaschnikows den belgischen Justizminister zu entführen.

Vincent Van Quickenborne muss sich seither in einem „Safe House“ verstecken. „Quickie“, seit 2020 Minister für Justiz und Nordsee, machte schon 1996 in den „weißen Komitees“ der Dutroux-Affäre von sich reden und als „Senator Q“ mit einer Genozid-Anklage gegen Israels Premier Ariel Scharon. Der Liberale mit der Neigung zu Medien-Stunts ist seit 2013 auch Bürgermeister seiner Heimatstadt Kortrijk. In Westflandern gelegen, gehört sie mit 77.000 Einwohnern schon zur Millionenagglomeration Lille. Autos dürfen im Zentrum von Kortrijk nur hinter Fahrrädern herfahren. Ich hielt auf dem zentralen Viehmarkt und erkundete mit der Frage, wo sich das – derzeit unbewohnte – Haus des Bürgermeisters befindet, die Stimmung. Ein Ruheständler mit Methusalem-Bart stand in einem flauschigen Schlafrock auf seinem Balkon.

Da er mit einem Operngucker das Marktgeschehen verfolgte, hielt ich ihn für gut informiert. War er aber nicht. Auch der Jung-Tschetschene Bajsangur, benannt nach Heerführer Bajsangur von Benoj, dessen Motto auf Russisch die Heckscheibe seines Sportwagens zierte („Wir umzingeln sie, sie entkommen uns nicht!“), wollte nie von einer Narko-Mafia gehört haben. Alteingesessene, darunter ein Vater mit Kindern in einem überdachten Lastenrad und ein tattriges Paar, reagierten abwehrend: Habe man auch nur in der Zeitung gelesen. Erst ein pensionierter Journalist wusste alles. Seine Einschätzung: „Das sind Niederländer.“ Als ich weiterfragte, wechselte er das Thema.

Mit geballter Faust

Ich fuhr in die Straße des Justizministers, in die Leopold-III-Allee. Sie begann bei einem Weltkriegs-Helden-Monument, kurioserweise dem König gewidmet, der Belgien mit seiner Passivität gegenüber der Nazi-Besatzung kompromittiert hatte. Ein ernster Reiter mit Stahlhelm, dazu das Zitat Leopolds III. vom 26. Mai 1940: „Belgien erwartet von Ihnen, dass Sie Ihrer Fahne Ehre erweisen. Was auch immer geschehen mag, mein Schicksal wird das Ihre sein. Unsere Sache ist recht und rein.“

Obwohl aus langen rumpeligen Betonplatten zusammengesetzt, war die Leopold-III-Allee die beste Adresse der Stadt. Geschmackvolle Patrizierhäuser, fast nur flämische Namen an den Klingeln. Ein Aushang („Verkavelingsaanvraag“) enthielt das belgische Schlüsselwort: Verkaveling, das sich nur ungenau mit „Verkleingärtnerung“ übersetzen lässt. Es bezeichnet ein ganzes Milieu, das „Verkavelingsflämisch“ spricht, ein charakterloses Idiom zwischen Niederländisch und Dialekt. Die meisten Villen standen wehrlos hinter offenen Vorgärten. Ungewöhnlich viele Jalousien waren heruntergelassen.

Am anderen Ende, wo ein Arme-Leute-Viertel begann, fand ich einen ärmlichen Night-Shop, hinter der Kasse eine sehr kleine und sehr alte, mit dünnen Strichen geschminkte Iranerin. Ich fragte sie: „Narko-Mafia, Entführungsversuch, Kalaschnikows – haben Sie keine Angst hier?“ Sie winkte ab: „Ich wurde schon 2007 überfallen. Ein Marokkaner, ein Albaner und ein Belgier waren das!“ Mit Genugtuung und geballter Faust rief sie aus: „15 Jahre haben die gekriegt.“ Seither sei ihr Laden, sagte sie mit Fingerzeig auf ein Kameraauge, durchgehend mit der Polizei verbunden. 2007 hatte sie vorsichtshalber noch gemeinsam mit der Tochter im Laden gestanden. Nun, 2022, da sie um 15 Jahre älter war, fühlte sie sich vom belgischen Staat beschützt.

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