Will sich Volkes Stimme eines kritischen historischen Bewusstseins entledigen, um nicht weiter über Motivation und Beweggründe von Akteuren der Vergangenheit nachzudenken, fällt oft der Satz: „Ich kann ja nicht in die Köpfe der Leute hineinschauen.“ Wie wahr. Wir können weder in den Kopf unserer Tante, noch in den von Heinrich Himmler hineinschauen. Nur, Geschichtsschreibung geht anders.
Der Satz fiel wieder bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Neu-Präsentation der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich. Dass er von der frisch ernannten Direktorin des Hauses, Ann Demeester, auf die Journalistenfrage zu vernehmen war, was in der Nachkriegszeit die Motivation des Museums gewesen sei, den Deal mit Bührle einzugehen, darf als weiterer peinlicher Auftritt in der Reihe von hochnotpeinlichen Auftritten des Zürcher Kunsthauses verbucht werden.
Das Trauerspiel begann 2021, als mit dem Erweiterungsbau des Kunsthauses von David Chipperfield auch die private Sammlung des aufstrebenden ehemaligen Freikorps-Mitglieds aus Pforzheim und späteren Schweizer Waffenproduzenten Emil Bührle ins Kunsthaus einzog.
Das Kunsthaus Zürich gab sich Mühe
Kein Zweifel, Demeesters und ihr Team gaben sich Mühe, es besser als ihre Vorgänger zu machen. Diese glaubten, Kunstgenuss und Sammlerruhm, dreckige Kapitalakkumulation und Profitname durch NS-verfolgungsbedingte Zwangsverkäufe jüdischer Sammler trennen oder verschweigen zu können. Als der Erweiterungsbau eröffnet wurde, präsentierte sich die Privatsammlung in diesem Geiste, es gab nur am Rande einen Info-Raum, in dem die neutrale Schweiz im Zweiten Weltkrieg als Markt wie jeder andere und Bührle als Patriot mit Kanten leuchten durften.

Foto: Franca Candrian
Damit ist jetzt Schluss. Doch der Ungeist des Stifters weht weiter durchs Haus. Zwei Wochen vor der Pressekonferenz trat der siebenköpfige wissenschaftliche Beirat zur Neupräsentation der Bührle-Sammlung geschlossen zurück. Die Chemie zwischen Wissenschaftler*innen und Museumsleitung war empfindlich gestört. Inhaltlich machen sie der Neukonzeption zum Vorwurf, dass der Stifter weiter „im Zentrum der Narration“ stehe, während „die Opfer des nationalsozialistischen Regimes marginalisiert“ würden. Doch die Forderung des Beirats gleicht der Quadratur des Kreises. Der Name eines Sammlers bleibt automatisch in aller Munde und Teil einer korrupten Memorialkultur, wenn seine Sammlung nur als Monolith gezeigt werden darf. Das ist in Zürich aufgrund der Leihverträge der Fall.
Die Ausstellung als Beta-Version
Tatsächlich rückt die Neupräsentation dem Monolithen mit allerlei partizipativen, kuratorischen, medialen Tricks zu Leibe, zum Beispiel mit der romantischen Sehnsuchtsfarbe Blau als inszenatorischem Leitmotiv. Gleich im ersten Raum lenkt ein blauer Gaze-Vorhang vor einem Mädchenporträt von Renoir, Irène Cahen d’Anvers, 1850, den Blick und signalisiert, dass es hier nicht nur um Kunst und ihren Genuss geht. Dazu sind Infotexte auf Tischen und Wänden ausgebreitet, die über das Bild und mit ihm das schlimme Schicksal seiner jüdischen Vorbesitzer*innen Auskunft geben. Und ja, die meist jüdischen Vorbesitzer*innen vieler Bilder bekommen Gesicht und Stimme. Doch würdigt man sie ausreichend, wenn man die Verstrickung der Schweiz in Verfolgung und Genozid weitgehend ausblendet und die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen Bührles ausbreitet? Das Kunsthaus sieht die Ausstellung als Beta-Version und strebt eine permanente Überarbeitung an. Mit Bührle en bloc wird das kaum gut gehen.
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