Hungerstreik der Mutter von Luis Rubiales: Im Namen des Sohnes

Kolumne Was wäre das Patriarchat ohne Frauen, die ihre gewalttätigen Söhne schützen? Die Mutter von Luis Rubiales wollte hungern, bis dessen Opfer einknickt. Der mediterrane Pathos der Aktion hat bei unserer Autorin Heimatgefühle geweckt
Ausgabe 37/2023 | Aktualisiert am 11.09.2023, 11:25
„Spanische Löwin“: In dieser Kirche in Málaga sperrte sich Ángeles Béjar ein
„Spanische Löwin“: In dieser Kirche in Málaga sperrte sich Ángeles Béjar ein

Foto: Imago / CordonPress

Manchmal, so der Dramatiker Heiner Müller, ist ein Text klüger als sein Autor. Das trifft auch auf einzelne Sätze zu. „Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter“ ist so einer. In der Türkei dem Propheten Mohammed zugeschrieben, gibt der Spruch die Verquickungen von Mutterschaftskult und Patriarchat besser wieder, als es Generationen von feministischen Denkerinnen vermochten. Es klebt ein Film aus Pathos, Mythologie und Rosenwasser an ihm. Keiner weiß, was er eigentlich heißen soll. Und damit er bloß nicht seine Wirkung verfehlt, schustern ihn seine anonymen Urheber der größten vorstellbaren – selbstverständlich männlichen – Autorität zu.

Weil sich in diesen Fragen bekanntlich der gesamte Mittelmeerraum ein Gehirn teilt, wunderte mich die folgende Meldung aus der vergangenen Woche kein bisschen. Die Mutter von Luis Rubiales, dem damaligen spanischen Fußball-Verbandschef, sei in einen Hungerstreik getreten. Rubiales war zuvor in die Kritik geraten, weil er beim Feiern des spanischen Weltmeistertitels die Mannschaftskapitänin Jennifer Hermoso gegen deren Willen auf den Mund geküsst und den für alle Welt offensichtlichen Übergriff später als einvernehmlich dargestellt hatte. Inzwischen ist Rubiales zurückgetreten.

Das Kirchengemälde gegen die Prenzlauer-Berg-Mutti

Besagte Mutter, Ángeles Béjar, verbarrikadierte sich kurz nach dem Vorfall in einer Kirche im spanischen Málaga und erklärte, nichts mehr zu essen, bis die „unmenschliche und blutige Jagd“ auf ihren Sohn beendet werde. Das Ende stellte sie sich wiederum so vor, dass Hermoso „die Wahrheit“ sagt, nämlich, dass der Kuss, den Rubiales ihr vor laufenden Kameras ungefragt auf den Mund drückte, einvernehmlich gewesen sei. Inzwischen ist Béjar nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt wieder zuhause.

Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust. Das eine ist erschüttert ob der Komplizenschaft dieser Frau in der Gewalt ihres Sohnes. Man kann noch so viel wissen über die Wirkweisen des Patriarchats und die spezifische Rolle älterer Frauen in seiner Aufrechterhaltung – sie schmerzt trotzdem, diese Respektlosigkeit von Frau zu Frau. Ebenfalls emotional angefasst ist „Zeit“-Autor Moritz von Uslar, aber auf die unangenehme Art. Die „spanische Löwin“, schreibt er, „strahlt hell wie ein barockes Kirchendeckengemälde“. Berührend gerade deshalb, weil sie das Gegenteil der „nordischen, am Prenzlauer Berg beheimateten Propeller-Mutter“ verkörpere, der das „Seelenheil ihres Kindes egal“ sei. Verzeihung? Ich dachte, die Prenzlauer-Berg-Muttis wären die mit dem Kinderpsychologen auf Kurzwahl, deren Spross nur falsch gucken muss, um eine Hochsensibilitätsdiagnose zu kassieren? Immer munter durcheinanderwerfen, die Mutter-Vorurteile, irgendetwas wird schon kleben bleiben!

Erschütternd patriarchal, vertraut mediterran

Widmen wir uns so lange dem zweiten Herzen in meiner Brust, dem weniger kritischen und besser gelaunten. Ich bin Journalistin. Als solche habe ich die unsympathische Angewohnheit, mich über Erschütterndes immer auch ein bisschen zu freuen. Weil es bedeutet, dass es hier etwas zu entdecken, zu analysieren, zu recherchieren gibt. Um das weniger schäbig klingen zu lassen, sage ich dann meist etwas wie: aus soziologischer Perspektive ... und aus dieser ist es eben interessant, was Ángeles Béjar getan hat. Denn dass die deutsche Mutter eines deutschen Mannes sich etwa in der Paulskirche einschließt und gegenüber der Frankfurter Rundschau einen Hungerstreik verkündet, ist in der Tat schwer denkbar. Der Pathos dieser Aktion erinnert mich an meine eigenen Landsleute, er hat etwas vertraut Mediterranes, wie der Geschmack eines in Olivenöl und Zitronensaft schwimmenden Tomatenstücks.

Das Patriarchat und seine Auswüchse haben viele Gesichter, sie unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Dass Mütter zuweilen ihre gewalttätigen Söhne decken und schützen, ihre Taten gutheißen und noch befeuern, ist ein trauriger und empörender Befund. Aber aus soziologischer Perspektive ...

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Geschrieben von

Özge İnan

Redakteurin, Social Media

Özge İnan hat in Berlin Jura studiert. Währenddessen begann sie, eine Kolumne für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline zu schreiben. Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen folgten Stationen beim ZDF Magazin Royale und im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Ihre Themenschwerpunkte sind Rechtspolitik, Verteilungsfragen, Geschlechtergerechtigkeit und die Türkei.

Foto: Léonardo Kahn

Özge İnan

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