Sommer, Sonne, 16 sein: Was ich über meinen Körper gerne vorher gewusst hätte

Super Safe Space Im Sommer ein junges Mädchen zu sein, war nicht einfach, erinnert sich unsere Autorin. Väter, Feministinnen, Zeitschriften: alle erwarten irgendetwas. Und dann sind da noch die Jungs. Hätte sie damals doch nur gewusst, was sie heute weiß
Ausgabe 29/2023
Sechzehnjährige Jungs sind für ihre weibliche Umgebung ein ungeheuerlicher Stressfaktor
Sechzehnjährige Jungs sind für ihre weibliche Umgebung ein ungeheuerlicher Stressfaktor

Foto: Jürgen Held/Imago Images

Es ist heiß. Verdammt heiß. Die heißesten Tage seit Aufzeichnung, gleich vier hintereinander, meldet die Tagesschau. Vier Stück, Wahnsinn, denke ich, kneife die Augen in der Sonne zusammen und scrolle weiter. Irgendwie hätte da genauso gut stehen können, dass Kim Kardashian ihr viertes Kind erwartet. Oder ihr fünftes? Apropos, habe ich heute schon meine empfohlenen zwei Liter Wasser getrunken? Oder drei? Alles dreht sich. Schnell wieder rein. Während ein Hitzerekord den nächsten jagt, denke ich an Zeiten zurück, als Rekorde etwas Schönes waren. Der längste Kuss der Welt zum Beispiel fand 2013 zwischen einem thailändischen Ehepaar statt und ging 58 Stunden.

Bei aller Verzweiflung über die Lage des Planeten bin ich doch vor allem im Sommer froh darüber, dass nicht mehr 2013 ist. Denn 2013 war ich sechzehn Jahre alt. Wenn man eines nicht sein will, ist es ein sechzehnjähriges Mädchen im Sommer. Um als Frau in dieser Welt nicht durchzudrehen, muss man Dinge wissen, die niemand in diesem Alter weiß. Man muss zu seinem Körper ein inniges, aber letztlich instrumentelles Verhältnis haben. Das gilt vor allem für dessen Beziehung zur Außenwelt. In die wird einem gerade im Sommer in einer Tour reingequatscht: Väter finden dein T-Shirt zu kurz, Feministinnen finden dein Sexleben nicht befreit genug und Zeitschriften finden, dass du als Birnentyp auf gar keinen Fall helle Bikinis tragen darfst. Das sind noch die kleineren Probleme. Denn während du dich damit herumschlägst, diese Zumutung namens Frauenkörper zu navigieren, lehnt der sich auch noch gegen dich auf. Lässt Pickel sprießen, den Unterleib krampfen, Haare wachsen, Hormone schwanken, Blut und Schweiß fließen.

Mit dir in der Misere stecken übrigens lauter sechzehnjährige Jungen. Ein sechzehnjähriger Junge zu sein, ist sicherlich auch kein Spaziergang. Mir fehlen hier die Erfahrungswerte. Ich kann allerdings berichten, dass sie für ihre weibliche Umgebung einen ungeheuerlichen Stressfaktor darstellen. Sie wollen derbe Witze reißen, aber können es nicht. Sie wollen anzügliche Geschichten erzählen, aber können es nicht. Sie wollen dich anfassen, aber können es nicht.

Wären da nicht die erwachsenen Männer, die einen auf der Straße ständig beglotzen wie Rinder einen vorbeifahrenden Güterzug, würdest du vielleicht sogar merken, dass dieses Verhalten grob sittenwidrig ist. So denkst du nur, das ist es also, dieses Frausein, mitgeliefert mit den Haaren und den Krämpfen und dem Blut, eine ungehemmte, allgegenwärtige männliche Sexualität, vor der man sich schützen muss. Also packst du auch im Juli eine Strickjacke ein, wenn du weißt, dass du abends allein nach Hause laufen wirst, unabhängig vom Wetter. Denn du hast gelernt, dass dieser Körper eine Gefahrenquelle ist.

Zehn Jahre sind vergangen, seit ich sechzehn war. Obwohl ich immer noch manchmal gerne eine Pause hätte, habe ich mich damit abgefunden, in einem Körper stecken zu müssen. Denn das ist es, was man wissen muss, um nicht den Verstand zu verlieren: dein Körper und du, ihr müsst keine Freunde sein. Er hat kein Eigenleben, keinen Willen, der für oder gegen dich arbeitet. Sich damit abzufinden, ist schon die ganze Kunst. Dann musst du auch nicht auf Kriegsfuß mit ihm gehen, wenn er über den Winter dick und blass wird, im Sommer ungebetene Blicke und Sprüche auf sich zieht, wenn er krampft und blutet, wenn er einfach nervt. Das hat alles nichts mit dir zu tun. Es ist ein Körper. Du lebst nur darin.

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Geschrieben von

Özge İnan

Redakteurin, Social Media

Özge İnan hat in Berlin Jura studiert. Währenddessen begann sie, eine Kolumne für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline zu schreiben. Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen folgten Stationen beim ZDF Magazin Royale und im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Ihre Themenschwerpunkte sind Rechtspolitik, Verteilungsfragen, Geschlechtergerechtigkeit und die Türkei.

Foto: Léonardo Kahn

Özge İnan

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