Welche Frage ich mit Anfang 30 ständig gestellt bekomme

Kolumne Unsere Autorin ist Anfang 30 und mit ihrer Lebens- und Liebessituation sehr zufrieden. Wenn da nur nicht die fragenden Verwandten und Freund*innen wären
Ausgabe 16/2023
Ab ihrem 30. Geburtstag muss frau sich immer öfter erklären, wenn das nicht ihrer Traumvorstellung entspricht
Ab ihrem 30. Geburtstag muss frau sich immer öfter erklären, wenn das nicht ihrer Traumvorstellung entspricht

Foto: Lawrence Lucier/Getty Images

Für diese Kolumne werde ich mal meinen Good Ol’ Buddy Jean-Paul Sartre paraphrasieren. Die Hölle sind die Bekannten und Verwandten, die dich mit Anfang 30 fragen: „Und, was gibt’s Neues?“ Aber eigentlich würde ich lieber mit dem Teufel persönlich chillen, als diese Frage ständig beantworten zu müssen.

Denn die Antwort ist bei mir: nichts. Es gibt nichts Neues. Ich lebe seit sieben Jahren in einer gesunden Beziehung, wir leben auch schon seit Längerem in einer großen Wohnung zusammen. Mein Studium ist beendet und meine berufliche Karriere ist stabil. So kann es auch erst einmal bleiben. Ich habe keine Sehnsucht nach Hochzeit, Kindern oder einem Haus. Natürlich lerne ich stetig Neues, erlebe Spannendes und treffe wichtige Entscheidungen.

Doch in den Ohren meiner Flüchtigkeitsbegegnungen und Verwandten klingt alles nach Stagnation – als würde ich das Spiel „erwachsene Frau“ verlieren. Man müsste meinen, dass Barbie lange genug in der Welt rumwandelt, um eine Idee in unsere Köpfe einzubrennen: „Girls, you can be, whoever you want!“ Doch in meiner derzeitigen Lebenssituation merke ich: Nee, das wird dir nur zugesprochen, wenn du 23 bist. Mit 33 Jahren sollst du gefälligst mal deine Schäfchen ins Trockene bringen, und das bedeutet immer noch: Hochzeit, Häuschen, Kinder. Also kommen die Fragen „Was ist denn mit …“ und „Habt ihr mal überlegt, ob …“.

Diese Meilensteine ähneln immer mehr To-do-Listen, und dass ich diese nicht verbissen verfolge, macht mich seltsam. Vor allem, da ich ja die richtigen Voraussetzungen habe, diese Ziele zu erreichen: Partnerschaft, Geld und (angebliche) Reife. Umso verwirrender, dass ich mich nicht in das nächste weiße Kleid stürze, mit einer Hand einen Säugling füttere und mit der anderen das Bad neu fliese. Denn der einzige legitime Grund für das Nicht-erreichen-Wollen der Ziele ist eigentlich göttliche Intervention.

Immer weiter, immer vorwärts?

So stecke ich in einer unangenehmen Small-Talk-Situation fest und muss mich rechtfertigen. Ich weiche gerne auf irgendwelche Plattitüden aus oder erzähle stattdessen ausführlich von meinem letzten Urlaub in Schweden, auch wenn das Gegenüber sich dafür nicht interessiert. Viel lieber würde ich ihnen mal: „F*ck them kids, f*ck that house and f*ck you, too“ an den Kopf werfen. Aber ich wurde zu gut erzogen, um so auszurasten. Dabei würde es ihnen wirklich guttun, vor Augen geführt zu bekommen, wie engstirnig sie sind: immer weiter, immer vorwärts und niemals zufrieden sein – und es hört nie auf.

Meine Schwester hat zwei Söhne und sie wird in einem Supermarktgang gefragt, ob sie nicht auch noch ein Mädchen will. Die perfekte Version eines Frauenlebens scheint zu sein: erfolgreicher Mann, zwei Kinder (Mädchen und Junge), Golden Retriever und ein Haus in ruhiger Gegend einer Großstadt. Und wer sich nicht aktiv für diese Ziele aufreibt, muss sich gefälligst erklären, aber ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Keiner will von deinen Schwierigkeiten mit der Fruchtbarkeit oder deinen Beziehungsproblemen hören.

Die Menschen vergessen, dass es Tausende Wege zum sogenannten guten Leben gibt und es auch völlig in Ordnung ist, wenn man sie nicht in Angriff nehmen will. Manchmal ist die schönste Neuigkeit, dass ich jetzt Nähen lerne, wir bald wieder auf ein Festival fahren oder dass ich eine neue Couch gefunden habe. Oder dass gerade nichts schlechter läuft als vorher. Und das sind keine Verlegenheitsantworten. Das ist das Leben, man muss keine Ziele erreichen, sondern es leben.

Wer mit dieser Antwort nicht klarkommt, sollte vielleicht einfach nicht fragen: „Und, was gibt’s Neues?“

Laila Oudray ist freie Journalistin in Berlin

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