Ich glaube, mein Freund damals war ein „Incel“

Super Safe Space Wie um alles in der Welt wird man so ein frauenhassender Typ? Unser Kolumnist muss da nur an seine Studententage zurückdenken
Ausgabe 28/2023
Als Eldar bei einer Frau aus Pakistan nicht landete, fing er an, das auf ihre Kultur zu schieben
Als Eldar bei einer Frau aus Pakistan nicht landete, fing er an, das auf ihre Kultur zu schieben

Foto: Imago

In London habe ich mal mit einem Schweden im Studentenwohnheim gelebt: Eldar war Anfang 20, hatte zerzaustes Haar und war in seiner eigenen Welt gefangen. Er trug alte Anzüge, wo andere mit Jogginghose ankamen, redete wenig, trank bei Ausflügen zum Covent Garden oder zur Portobello Road schon mittags Cognac aus einem silbernen Flachmann.

Als er sich bei meinem Geburtstag an eine Spanierin ranmachte und die ihn abwies, schlug er draußen bei einer Zigarette mit voller Kraft auf eine Mülltonne. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an die Abfuhr. Und daran, dass eine Frau wie sie unerreichbar für ihn war.

„Der Dude ist crazy“, flüsterte mir ein Kommilitone zu. Auch andere machten sich darüber lustig, wie uncool er an das Thema Dating heranging. Seitdem muss ich immer an Eldar denken, wenn es um Incels geht.

Der Begriff setzte sich aus den englischen Wörtern „involuntary“ und „celibate“ zusammen – unfreiwilliges Zölibat. Das sind Jungs, deren romantischer Erfahrungsschatz dem einer Klosternonne entspricht. Doch während Nonnen deswegen nicht rumvögeln, um ihre Liebe zu Gott unter Beweis zu stellen, sind Incels hier auf Erden gefangen. In ihrer Einsamkeit. Und in ihrem Hass.

Die Jungs denken so: Vor der sexuellen Revolution hätten sich Frauen mit „gleichrangigen“ Männern (ja, so ticken die) abgegeben, das Prinzip des „Looks-Matching“ hätte noch funktioniert. Seitdem sich Frauen ihre Partner frei aussuchen können, würden sie nur noch gestählten „Alpha“-Männern hinterherlaufen. Sie hingegen, die Incels, stünden ganz unten in der Nahrungskette. Held der Bewegung ist Elliot Rodger, der im Mai 2014 in der Nähe der University of California auf Studentinnen schoss und zwei von ihnen tötete. „Wenn ich euch nicht haben kann, Girls, werde ich euch zerstören“, sagte er im Bekennervideo.

Mehr Wettbewerb unter Männern

Fast 70 Prozent sind laut einer Umfrage unter 25. Es sind Typen wie Eldar, die vor lauter Einsamkeit keinen Meter geradeaus gucken können. Keine Ahnung, ob er das Internet mit Frauenhass vollrotzte, wenn er alleine zu Hause saß. Was ich weiß: Als Eldar bei einer Frau aus Pakistan nicht landete, fing er an, das auf ihre Kultur zu schieben: Die dürfte ja bestimmt nix mit einem Schweden anfangen, dreckspatriarchale Kultur, damit wolle er nichts zu tun haben. Ich antwortete: Pff, du wirst schon noch eine finden!

Geglaubt habe ich das nicht. Online-Dating hat den Wettbewerb unter Männern verschärft. Das ist objektiv so: 2017 fand ein Blogger heraus, dass auf Tinder 78 Prozent der Frauen nur an 20 Prozent der „attraktivsten“ Männer interessiert sind. Typen wie Eldar, die wenig instagramtaugliches Bildmaterial haben, fallen da schnell hinten runter.

Ja, ich habe Mitleid mit Incels. Wie verzweifelt muss man sein, um sich bei Twitter @CannotHaveSex zu nennen (den Account gibt es wirklich!) und Frauen als „seelenlos“ zu bezeichnen, weil sie einen nicht daten wollen?

Da suche ich mir lieber andere Gegner. Tinder-Gründer Jonathan Badeen zum Beispiel, der sich unter der Dusche den perversen „Swipe-Right“-Mechanismus ausgedacht hat, um die Entscheidung zwischen „Nope“ und „Like“ möglichst einfach zu machen. Eldar hingegen?

Der lag später auf meiner Party vollgekotzt im Katzenkörbchen und wurde von anderen Gästen angeglotzt. Unser WG-Kater stromerte durchs Haus. Aber keiner litt an diesem Abend so wie mein schwedischer Freund.

Dorian Baganz ist Freitag-Redakteur

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