Wer das Glück alleine sucht, ist auf einem Irrweg

Kolumne Glück: Immer mehr Schulen bieten es als Schulfach an. In Zeiten, die von grausamen Bildern von Krieg und Apokalypse geprägt sind, dürfen wir eins nicht verlernen – glücklich zu sein. Aus dem „Lexikon der Leistungsgesellschaft“
Ausgabe 33/2023
Fühlt sich gut an: Zusammenhalt für eine glücklichere Zukunft
Fühlt sich gut an: Zusammenhalt für eine glücklichere Zukunft

Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Angesichts ziemlich unglücklicher Zeiten mutet es fast schon zynisch an, wenn nun in immer mehr Schulen Glück als Schulfach angeboten wird oder Forderungen nach einem Ministerium für Glück erhoben werden. Das Glück ist vielleicht von dieser Welt, nicht aber von dieser Gesellschaft. Dennoch sollte das Glück in einem Dasein, das von dessen Abwesenheit geprägt ist, nicht vorschnell missachtet werden, ist doch bereits das Streben nach der Glückseligkeit in irdischen Gefilden allein weitaus sinnstiftender als die trügerische Vorstellung von einem ersehnten Glück im Jenseits.

Manche meinen gar, revolutionäre Bewegungen seien stets auch welche um das Glück, dass das Glück der Menschheit das Ziel sei, nur erreichbar, wenn sich die materiellen Beziehungen fundamental änderten. Beim Glück gehe es also darum, nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen für Glück zu fragen, die Verhältnisse infrage zu stellen, denen Menschen ausgesetzt sind und sich aussetzen lassen.

Was in der US-Verfassung steht

Dennoch scheint selbst in den düstersten Zeiten und Orten das Glück zumindest kurzzeitig aufzuleuchten. Es sind Glücksmomente, wenn etwas aufflackert, bei manchen ist dafür ein Rausch notwendig. Diese Augenblicke können in Gruppen erlebt werden, zu zweit oder allein, sind aber immer an Verhältnisse gebunden – sei es, weil es zärtliche sind und so Glück hervorrufen oder auch weil verletzende Verbindungen endlich überwunden werden konnten. Das kleine Glück im großen Unglück verschwindet aber schnell und weicht der sonstigen Realität, die dann möglicherweise noch grausamer erscheint, weil kurz alles anders schien. Das episodenhafte kurze Glücksgefühl sollte deshalb nicht verwechselt werden mit einer Glückseligkeit, einem positiven Grundrauschen, das kaum möglich ist, wenn sich Menschen vor allem als Objekte begegnen.

Angesichts eines solchen düsteren Realismus greifen viele lieber nach einem Konzept, das Glück als etwas rein Individuelles fasst; Glück als etwas, das man haben kann, das man findet, als wäre es ein verborgener Schatz, den man vor anderen entdecken könnte, wenn man nur eifrig danach sucht. Das „pursuit of happiness“ ist in der US-amerikanischen Verfassung ein Menschenrecht, ein individuelles selbstverständlich; ein einsames Streben, das unter Vorzeichen von Konkurrenz und Profitmaximierung eine Bewegung in Gang setzt, in der sich die Suche nach persönlichem Glück in eine Jagd auf Kosten anderer verwandelt.

Kleine Inseln der Solidarität

Die einen treiben die anderen vor sich her. Wo Beziehungen untereinander wesentlich solche des Gegeneinanders sind, wo es neben Gewinnern auch Verlierer geben muss, ist für die einen schmerzvolle Niederlage, was für die anderen als Glücksmoment erfahren wird, der möglichst bald wiederholt werden muss, ohne Rücksicht auf Verluste, wenn es sein muss – und es muss sein. Ein solches individuelles, auf Triumph im Kampf gegen andere „erworbenes“ Glück ist falsch, weil es auf Voraussetzungen basiert, die andere notwendig ins Unglück stürzen. Die tatsächliche Basis für wahre Glückseligkeit sind solidarische Verhältnisse.

Ebenjene sind aber schwer zu erwirken ohne die Aussicht auf Glück. Vielleicht ist es deshalb so wichtig, zu unterscheiden: zwischen jenen falschen Glücksmomenten, die bei Treib- und Hetzjagden entstehen, und jenen, die den kleinen Inseln solidarischer Beziehungen im Hier und Jetzt entspringen. Damit wir erfahren und uns erinnern, dass es auch anders gehen kann. Nicht nur für Augenblicke.

Sebastian Friedrich ist Autor und Journalist aus Hamburg. In der Kolumne „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ beschäftigt er sich seit 2013 mit den Ideologien des Alltags.

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