Am Soli sollt ihr sie erkennen

Steuern Von unten nach oben umverteilen, das ist das Kernanliegen der FDP. Was ist dem entgegenzusetzen? Nur ein linker Paradigmenwechsel in der Steuerpolitik
Ausgabe 47/2017

Als sich Christian Lindner am Montagmittag erklärte, war der Solidaritätszuschlag sein erster inhaltlicher Anker. Dessen Abschaffung hätte die Union mit grüner Hilfe torpediert, damit ein Kernanliegen der FDP sabotiert und diese darin bestärkt, die Sondierungen zu verlassen. Gut möglich, dass Lindner damit viel Zustimmung erntet.

Denn der „Soli“ ist in Deutschland schlecht gelitten, vielen gilt er als Beispiel staatlicher Gier, gerade im Westen. Dort mag sich das Ressentiment nicht mehr in der Vehemenz artikulieren wie noch vor einigen Jahren, als in westdeutschen Sportstadien Anhänger gern in Richtung ostdeutscher Gästefans skandierten: „Wir müssen bezahlen für diese Asozialen.“ Doch bis heute ist wohl kaum zu jedem Westdeutschen durchgedrungen, dass den Zuschlag auf Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld Ostdeutsche ebenso bezahlen. „Sieh an, hier ist unser Geld also gelandet“, sagen Touristen aus dem Westen schnippisch, wenn sie über neue Autobahnkreuze in die sanierten Altstädte von Görlitz oder Dresden fahren – und denken dabei mitunter an ihre von Strukturwandel gezeichnete Heimat im Ruhrgebiet oder im Saarland.

Dass sich heute Strukturschwäche und Investitionsbedarf nicht auf den Osten der Republik beschränken, ist ein Gemeinplatz, ebenso wie die Tatsache, dass Autobahnkreuze und sanierte Altstädte kein Garant für die angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Ost und West sind. Und natürlich lässt sich argumentieren, dass der Soli temporär angelegt und sein Ende verfassungsrechtlich geboten sei. Das entbindet aber nicht von einer Antwort auf die Frage, wie der Staat mit dem bei einer ersatzlosen Streichung des Solidaritätszuschlags mittelfristig klaffenden Loch von 20 Milliarden Euro jährlich umgehen soll. Woher die Mittel für – rein privatwirtschaftlich unattraktive – Investitionen in die Versorgung der Altmark mit Breitband-Internet kommen sollen. Wie aus baufälligen Paukhöllen moderne Schulen werden können, ob in Halle oder Hagen.

Nicht, dass die FDP um Antworten auf diese Fragen verlegen wäre. Lindner sprach Sonntagnacht von der bei Schwarz-Gelb-Grün nicht hinreichend repräsentierten „Freiheit des Einzelnen in einer dynamischen Gesellschaft, die auf sich vertraut“. Das heißt: Die FDP will die öffentliche Hand amputieren und durch eine Prothese aus privatem, mit Risikokapital gepampertem Gründergeist ersetzen.

Die Freiheit welcher „Einzelnen“ Lindner meint, zeigt der Blick auf die Profiteure der Soli-Streichung: Auf fünf Milliarden Euro mehr in den Taschen dürfte sich das reichste Hundertstel der Haushalte freuen, knapp 80 Prozent der Entlastung flössen an das oberste Fünftel der Einkommen. Das liegt daran, dass den Soli nicht oder nur vermindert zahlt, wer wenig verdient.

Trendwende? Von wegen!

Spätestens wenn der nächste Einbruch der Konjunktur Kürzungen des eh um die Soli-Einnahmen geschwächten Staates nach sich zöge, würde die unteren vier Fünftel merken, was sie an dieser Abgabe hatten: eine, welche die Reichen belastet und die Ärmeren verschont und damit etwas, das sich vom hiesigen Steuersystem insgesamt immer weniger sagen lässt: Ob Senkung des Spitzensteuersatzes oder Erhöhung der Mehrwertsteuer – all das hat dafür gesorgt, dass die Steuerbelastung zwischen 1998 und 2015 für das unterste Zehntel um 5,4 Prozent wuchs, während sie für das oberste Zehntel um 2,3 Prozent sank.

Eine Soli-Streichung wäre also keine „Trendwende“, wie sie die FDP etikettiert. Sondern das Gegenteil: die Verschärfung einer gegebenen Tendenz, Entstaatlichung und Umverteilung von unten nach oben. Der von Union und Grünen offerierte, von der FDP abgelehnte Soli-Kompromiss hätte dessen Abschaffung bis in die nächste Legislaturperiode hinein verlagert, die Radikalisierung des Trends also nicht verhindert, sondern allenfalls zeitlich gestreckt.

Wer solcher Radikalisierung entgegentreten will, kann der FDP das Thema Soli wegnehmen: seine Abschaffung fordern, weil sich der schlechte Ruf, so falsch er auch ist, nicht mehr reparieren lässt. Für Ersatz eintreten. Dafür, dass es an der Zeit ist, die Reichen stärker in Verantwortung zu nehmen. Die Steuerpläne der SPD vor der Wahl wiesen zaghaft in diese Richtung. Die der Grünen eigentlich ebenso. Und an der Linken wird ein Paradigmenwechsel in der deutschen Steuerpolitik ganz sicher nicht scheitern.

Nur für kurze Zeit!

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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