Ach, SPD!

Aufbruch Die innerparteiliche linke Reformgruppe kommt nur schleppend voran. Ein Blick auf den Unterstützerkreis und dessen Defizite

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Ach, SPD!

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Die neu gegründete Initiative „Aufbruch SPD“ um den linken Flügel und Wählerkreis der Sozialdemokraten erhofft sich, durch große Unterstützung genug Druck in den kommenden Parteikonventen und -konferenzen ausüben zu können. Bisher hat die Initiative nicht einmal jämmerliche 1500 Unterschriften gesammelt. Das hat viele Gründe. Der wichtigste: Es fehlt wie immer die Vision. Kein Bekenntnis zu einem auf Rot-Rot-Grün zielenden Bundestagswahlkampf 2017. Tatsächlich finden sich keinerlei parteipolitische Ausrichtungen und/oder Angriffe im Thesenpapier. Ein Blick auf die Unterstützerinnen und Unterstützer der Initiative verrät mehr.

Marco Bülow, MdB, einer der Hauptinitiatoren, schrieb im August 2010, damals in der Opposition, einen wichtigen Beitrag zur Debatte um mögliche Regierungskoalitionen der SPD. Die Demoskopie war auf der Seite der SPD; 31% im Bund, gleichauf mit der CDU, die Grünen bei 17%. Nur daher erklärt sich der damals von Bülow verfasste Text: Rot-Grün sei seine Wunschkoalition. GroKo oder RRG nur wenn nötig und dann nur als mittelfristige Lösung. Es sei „naiv“ in Zukunft nur auf RRG zu setzen, fügt er an, als ob es jemals schon so eine Koalition im Bund gegeben hätte. Gegenseitige Abneigungen, eine Verklärung der DDR und eine strikte Oppositionshaltung eines Teils der Linken würden ein Zweckbündnis erschweren. Bei letzteren müsse sich noch am meisten bewegen. Doch auch die SPD solle sich eingestehen, dass die „neoliberalen Verlockungen und Zugeständnisse“ sie mehr geschwächt als gestärkt hätten. Wenn auch heute das Stammklientel in alle Richtungen zerstreut erscheint, so wollte Bülow damals noch stärker mit den Linken um deren Hoheit ringen. Damit sich diese nicht mehr hinter illusionären Forderungen versteckten, brachte Bülow das Einbinden der Linkspartei in die Regierungsverantwortung ins Spiel.

Das war die Situation damals. Die SPD war in der Lage solche Forderungen und Ansprüche zu stellen. Angesichts von unter 20% in der Sonntagsfrage würden die Sozialdemokraten mit solcherlei Koalitionswünschen heute nur noch müde belächelt.

Eine weitere Unterstützerin ist Hilde Mattheis, MdB und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21. Sie resümierte Anfang des Jahres in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau die Lage der SPD, damals noch bei 23%. Doch auch sie sucht zwar nach einem Reformbündnis, beschwört aber vor allem den vorparlamentarischen Raum. So solle die SPD „Ansprechpartner“ sein für die Hunderttausenden Anti-TTIP-Demonstranten. Ansprechpartner für was, fragt sich der gemeine Leser. Fürs Draufhinweisen, dass ihr Vorsitzender massiv für TTIP wirbt? Absurd.

Mattheis erteilt einer möglichen Ampel-Koalition eine Absage. Diese sei inhaltlich fragwürdig und solcherlei machttaktische Überlegungen seien äußerst unattraktiv für Wähler. Man müsse Vertrauen zurückgewinnen.

Nun wird’s komisch: Das gabrielsche Einschwören auf die Mitte sei ein Fehler und doch folgt dann wenig später folgender Satz, der an dieser Stelle vollständig zitierwürdig ist: „Die SPD ist nicht ausschließlich die Partei der sozialen Gewinner und der Menschen in sicheren sozialen Verhältnissen.“ Man möchte ihr zurufen: Ihr macht zwar Politik nur für diese Leute, aber euer Hauptklientel ist das parteihistorisch nun eher nicht! Aber da hört es noch nicht auf: „Gerade auch die weniger privilegierten sozialen Milieus, die in atypische Beschäftigung und Sozialleistungsbezug abgedrängt sind, müssen von uns angesprochen und mobilisiert werden“ „Gerade auch“? Nein, das ist euer Hauptmilieu, eure Leute! Die von euch Verstoßenen und Totgesagten.

Den „morgigen SPD-Kanzler“ gäbe es nicht, da die Parlamentsmehrheit dann nur bei 10 Mandaten läge und eine rot-rot-grüne Regierung aktuell keine gesellschaftliche Mehrheit repräsentiere. Mit dem Leipziger Öffnungsbeschluss hätte man den Weg bereitet für Kommendes. Bedingungen: Ein linkes Reformbündnis brauch eine „stabile Mehrheit“, es solle einen „verbindlichen und finanzierbaren Koalitionsvertrag“ geben und eine im Rahmen unser internationalem Verpflichtungen „verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik“ gewährleistet werden.

Dazu hätte ich zwei Fragen: Warum wird immer die Finanzierbarkeit betont? Ist Thüringen schon pleite und ruiniert? Ok, ok. Da ist ein SPDler Wirtschaftsminister.
Und zweitens: Wenn Verantwortung im gauckschen Sinne die Flinte bedeutet, erscheint eine Koalition mit der Linkspartei schon schwierig. Auch bei dem Transatlantikpakt stelle ich mir Kompromisse fragwürdig vor. Eine privilegierte Nato-Mitgliedschaft?

Ja, ich will

Mattheis schaut dann voller Neid nach Spanien, Portugal und Griechenland, wo sozialistische oder sozialdemokratische Parteien aus dem Stand gute Wahlergebnisse erzielten. Die Bevölkerung sei bereit, „Neulingen die politische Bühne zu überlassen, wenn etablierte Parteien wenig unterscheidbar und wenig glaubwürdig ihre Positionen vertreten.“ Die aber danach propagierte mütterliche „Ansprechpartner“-Attitüde verweist mehr auf den Willen zur Zügelung solcher Bestrebungen in Deutschland, anstatt des Aufgreifens jener Bewegungen. Denn eins steht fest: In absehbarer Zeit wird die SPD selber nicht zu jenem „Neuling“, der die politische Bühne betritt.

Als vorletztes sei noch Klaus Barthel, MdB, ebenfalls Unterstützer der „Aufbruch-SPD“-Initiative, erwähnt. Dieser bekräftigte vor wenigen Tagen im Interview mit dem Tagesspiegel, dass eine weitere GroKo ausszuschließen ist und betonte den Anspruch der SPD den Kanzler zu stellen. Rot-Rot-Grün müsse man sich als wahrscheinlich einzige Mehrheitsoption offenhalten. Angenehm ist, dass er nicht so herablassend wie manch anderer Forderungen stellt. Nach inhaltlicher Ausrichtung sollten die Linken und Grünen „dann [halt] entscheiden, ob sie mitmachen“. Auf die letzte Frage, was seiner Meinung nach für Gabriel zu tun sei, um wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen, gab er die, wie ich meine, von jedem SPD-Mitglied verinnerlichte Antwort, er müsse klarmachen, wofür er stehe und diese Position dann „durchhalten“.

Werfen wir noch einen knappen Blick auf diesen Parteivorsitzenden und Kanzleraspiranten der SPD. Gabriels Hauptargument gegen eine Bundeskoalition mit den Linken war immer die unterstellte innerparteiliche Spaltung und vor allem der „linksradikale“ Flügel, die eine Zusammenarbeit verhinderten. Die rot-rot-grüne Erfurter Koalition unter dem Pragmatiker Bodo Ramelow begrüßte er jedoch und verteidigte diese sogar gegen Teile der CDU. So scheint die einzige von Barthel beschworene Position, die Gabriel noch vertritt, die des uneingeschränkten Machterhalts zu sein. Komme, was wolle. Die SPD dürfe sich jedoch nicht auf einen „Irrsinn“ einlassen, wenn auch der „Weg ins Kanzleramt“ dann schwieriger zu beschreiten sei, sagte er im Dezember 2014 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es wird aber gemunkelt, RRG in Thüringen sei auch in den Augen des SPD-Chefs Versuchsprojekt für den Bund. Im Oktober letzten Jahres bestätigte Gabriel zwar mit seinem „Natürlich will ich Bundeskanzler werden“ seinen Anspruch, wich aber dieses Jahr aufgrund öffentlichen Drucks mehrmals davon zurück. Aber in einem Land, wo bereits die verneinte Mauer gebaut wurde, Landschaften nicht so wirklich blühten, Mehrwertsteuern doch erhöht und eine PKW-Maut nun ebenfalls eingeführt sind, schafft es auch ein Sigmar Gabriel wieder auf Kanzlerkurs zu schwenken.

Auch Gabrielle Hiller-Ohm, MdB seit 2002, unterstützt den innerparteilichen Reformkurs der SPD. Diese schrieb wenige Tage vor der Bundestagswahl 2013 einem erzürnten Wähler auf dem Portal abgeordnetenwatch.de folgende Antwort auf die Frage, ob Sie denn ein Bündnis mit der „SED, den Kommunisten“ ausschließen könne: Die Linke sei nicht die SED und sei demokratisch legitimiert. Sie insinuiert jedoch, mit den Linken seien die soliden Finanzen Deutschlands in Gefahr und auch im Hinblick auf die internationale Politik sei die Linkspartei nicht regierungsfähig.

Nur mit Rot-Rot-Grün

2013 fuhr die SPD klar einen Wahlkampf, der auf ein rot-grünes Regierungsbündnis zielte. Das zeigt sich auch in der klaren Abgrenzung zur Linkspartei in all diesen Ausschnitten. Doch das rot-grüne Bündnis ist kläglich gescheitert. Das wird auch im Jahre 2017 nicht anders sein, sollten sie aus welchen Gründen auch immer, dies wieder tun. Selbst für RRG ist die Mehrheit gar nicht so sicher, aber sie ist äußerst aussichtssreich und realistisch, wenn man frühzeitig sich dazu bekennt.

„Aufbruch-SPD“ bietet eine wahrlich sozialdemokratische Reformagenda. Was die Initiative aber nicht bietet ist eine realpolitische Umsetzungsmöglichkeit. Diese böte nur ein rot-rot-grünes Bündnis. Einen solchen Politikwechsel erreichen wir nur mit einer Regierung links der CDU. Und eine solche Regierung wird es nächstes Jahr ohne die Linkspartei nicht geben. Die Initiative sollte sich dazu bekennen. Das sich an den Umfragewerten für CDU und SPD sonderlich viel ins Positive wenden wird, ist auch nicht abzusehen. 2017 ist nicht 2010.

Leicht resigniert muss ich feststellen: Die Weichen sind doch eigentlich gesetzt. Der Linken läuft das Wasser im Mund zusammen, auch nur einige Punkte dieses Thesenpapiers durch den Bundestag zu bekommen. Dieses Bekenntnis wäre doch nur ein Satz und allein schon wegen der medialen Aufmerksamkeit von unermesslicher Wichtigkeit. Aber über gewisse Schatten springt man in der SPD zumindest aktuell dann doch noch nicht.

„Dreierkoalitionen sind immer schwerer zu handhaben“ meckerte Bülow damals in seinem Beitrag. Aber lieber Herr Bülow, wissen Sie was noch viel schwieriger ist? Weitere 4 oder 8 Jahre diese neoliberale Politik zu ertragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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