Dan Gardner traute sich nicht, im Kino aufs Klo zu gehen – also entwickelte er eine App

Interview „RunPee“ ermöglicht es Kinobesuchern, während eines Films zur Toilette zu gehen, ohne etwas zu verpassen. Ihr Entwickler Dan Gardner weiß alles über den perfekten Zeitpunkt – und hat sogar seine Frau durch die App kennengelernt
Timing ist alles
Timing ist alles

Foto: pexels

Die App RunPee hat Dan Gardner aus der Not heraus entwickelt: Dem Software-Entwickler aus North Carolina kam die Idee dazu, als er über drei Stunden in einer King-Kong-Vorführung saß. RunPee teilt Kinobesuchern mit, wann der beste Zeitpunkt ist, um während eines Films zur Toilette zu gehen.

The Guardian: Herr Gardner, wie genau kam es zu ihrer App?

Dan Gardner: Am Ende von Peter Jacksons 201-minütigem King-Kong-Film 2005 musste ich so dringend auf die Toilette, dass es qualvoll war. Als wir den Saal verließen, hätte ich den Leuten in der Schlange für die folgende Vorstellung am liebsten zugerufen, dass die Szene mit den Riesenkäfern in der Mitte des Films perfekt für eine Toilettenpause sei. Natürlich habe ich das nicht einfach zu Fremden im Kino gesagt – aber ich bin Entwickler, also dachte ich, ich könnte eine Website erstellen. Das war, bevor es mobile Apps gab. Ich kaufte die Domain runpee.com, aber dann bekam ich einen Job bei Microsoft im Xbox-Team, so dass ich in den folgenden Jahren erstmal nichts weiter unternahm. 2008 wurde ich freiberuflicher Entwickler und entwickelte RunPee als Demo-App, die ich Kunden zeigen konnte.

Wie war die erste Reaktion auf die App?

Alle fanden sie toll, aber niemand hat sie benutzt. Damals gab es einen Button, um einen Ausdruck zu erstellen. Die Nutzer gingen also auf die Website und druckten ein Blatt mit „Peetimes“ aus, wann sie aufs Klo gehen könnten, und eine Zusammenfassung dessen, was in diesen drei bis vier Minuten passiert. Es gibt [langjährige] User, die mir schreiben, dass sie RunPee seit den Tagen, als sie es noch ausdrucken mussten, benutzen.

Wie funktioniert die App jetzt?

Die App zeigt eine Liste der Filme, die derzeit in den Kinos laufen, in chronologischer Reihenfolge an. Wenn Sie einen Film auswählen, wird angezeigt, wie viele es gibt. Bei längeren Filmen gibt es mehr; zum Beispiel haben wir sechs Peetimes für Oppenheimer. Die meisten Filme haben zwei oder drei. Wenn sich eine Peetime nähert, erhalten die Benutzer einen Hinweis, zum Beispiel eine Dialogzeile oder einen visuellen Hinweis, der aber kein Spoiler sein darf. Sie können also nicht etwas wie „Wenn Bob stirbt“ verwenden. Die App bietet auch Warnhinweise für heikles Material wie Tierquälerei, Gewalt, Sex und Folter, die Zuschauer umgehen können, wenn sie möchten.

Was passiert, wenn man während einer Peetime weggeht?

Wenn Sie während einer Peetimes auf die Toilette gehen, können Sie eine kurze Zusammenfassung dessen lesen, was Sie verpasst haben. Der in der App integrierte Timer zeigt Ihnen einen Countdown an, wie viel Zeit Sie noch bis zum nächsten Peetime haben und wie lange es noch bis zum Ende des Films dauert. Dank des Marvel-Filmuniversums geht der Countdown bis über den Abspann hinaus, falls noch eine Bonusszene gibt.

Wer entscheidet über diese Peetimes?

Zurzeit sind es hauptsächlich meine Schwester und ich, die die Filme aussuchen – etwa 95 Prozent der Filme pro Jahr. Vor der Pandemie war meine Mutter superaktiv und hat fast alle Kinderfilme gemacht, aber jetzt ist es für sie schwieriger, ins Kino zu gehen. Ich sage immer, die RunPee-App ist ein Familienbetrieb. Allein hätte ich es sicher nicht soweit geschafft. Am Anfang habe ich alle Peetimes selbst gemacht, und das war überfordernd. Ich war jede Woche Freitag und Samstag den ganzen Tag im Kino, bis meine Mutter und meine Schwester anfingen, mir zu helfen. Oft melden sich Leute, die mitmachen wollen, aber das ist nicht so einfach, denn man kann nicht einfach nur den Film anschauen, sondern muss sich Notizen machen und die Peetimes finden.

Was macht eine gute Peetime aus?

Es sind nicht so sehr die langweiligen Szenen des Films, sondern Szenen, die wir kurz und knapp zusammenfassen können, ohne dass der Sinn verloren geht. Wenn Sie sich also eine Komödie ansehen, können Sie eine lustige Szene in der Peetime-App nicht mit den Worten zusammenfassen: „Es war wirklich lustig, aber man muss dabei gewesen sein.“

Was war der schwierigste Film, für den Sie Peetimes finden mussten?

Ohne Frage, Christopher Nolans Inception. Ich habe den Film dreimal gesehen, bevor ich endlich genug verstanden hatte, um zu sagen, dass diese Figur für die Handlung eigentlich nicht wichtig ist. Es ist der Typ [Robert Fischer, gespielt von Cillian Murphy], in dessen Traum sie gehen – viele seiner Szenen waren die Peetimes, weil nichts anderes funktionierte.

Haben Sie irgendwelche lustigen Geschichten von Nutzern erhalten?

Während der Pandemie schrieb mir eine Frau, dass sie und ihr Mann einen Film auf Netflix geschaut hätten, und um die Nostalgie eines Kinobesuchs aufleben zu lassen, hätten sie den RunPee-Timer gestartet. Ich bekomme sehr viele Rückmeldungen von Nutzern, die Probleme mit ihrer Blase haben: „Ich konnte nicht mehr ins Kino gehen, weil ich während eines Films dreimal pinkeln musste und das den Film einfach ruiniert hat.“ Menschen, die nicht mehr ins Kino gingen, konnten mit Hilfe der App wieder ins Kino gehen. Das mag ein Luxusproblem sein und ich werde sicher keinen Nobelpreis dafür gewinnen, aber ich habe dazu beigetragen, die Freude vieler Menschen an einer angenehmen Sache zu verbessern, und das ist unglaublich befriedigend.

Haben Sie versucht, „RunPee“ auf andere Sprachen auszuweiten?

Lustige Geschichte: Als Avatar herauskam, schrieb jemand in China über die App, eine junge Frau las diesen Artikel, sie war begeistert von der App und fragte, ob sie mit mir zusammenarbeiten könnte, um eine Version für China zu entwickeln – was wir dann auch machten. Wir arbeiteten in den nächsten Jahren zusammen an Übersetzungen und wurden Geschäftspartner. Dann kam sie zu Besuch – und wir sind jetzt seit fünf Jahren verheiratet.

Welche Rolle spielt „RunPee“ noch im Streaming-Zeitalter?

Ich war überrascht, als mir Leute erzählten, sie würden die App benutzen, wenn sie mit einer Gruppe von Leuten Netflix schauen und nicht unterbrechen wollen. Und ich habe von Leuten gehört, die, wenn sie mit Freunden einen Film ansehen, sich an den Peetimes orientieren, um den Film anzuhalten, eine Pause zu machen, ihre Getränke aufzufüllen oder auf die Toilette zu gehen.

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Geschrieben von

Anugraha Sundaravelu | The Guardian

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