Der Fall Nancy Fraser: Ist das noch Carl Schmitt oder schon betreutes Denken?

Wissenschaftsfreiheit Die Philosophin Nancy Fraser wurde wegen ihrer Haltung zu Israel von der Uni Köln ausgeladen. Kommt damit eine Geschichtsstarre zum Ausdruck, die staatliche Gewaltenteilung und Legalitätsprinzip für unverhandelbar hält?
An der Albertus Magnus Universität zu Köln hätte Nancy Fraser eigentlich eine Gastprofessur antreten sollen
An der Albertus Magnus Universität zu Köln hätte Nancy Fraser eigentlich eine Gastprofessur antreten sollen

Foto: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt rechtfertigte am 1. August 1934 die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches mit folgenden Worten: „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick kraft seines Führertums als Oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.“ Diese Worte führen bis heute bei all jenen zur Geschichtsstarre, die staatliche Gewaltenteilung und Legalitätsprinzip für unverhandelbar halten. Für Carl Schmitt drückten sie einfach die Überzeugung aus, dass Macht, nicht Recht, den Staat schaffe, und Recht letztlich von jenem Souverän gesetzt würde, der es auch zu garantieren vermag.

In der letzten Woche wurde bekannt, dass die amerikanische Philosophin Nancy Fraser ihre im Rahmen der Albertus-Magnus-Gastprofessur vorbereiteten Vorlesungen und Seminare an der Universität zu Köln nicht halten darf. Es geht also um die Aberkennung einer akademischen Ehrung, zugleich um einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Denn die Rücknahme der Ehrung wurde mit ihrer Unterschrift unter den umstrittenen Brief „Philosophers for Palestine“ im November 2023 begründet, der in der Tat einen „Genozid“ an den palästinensischen Arabern beklagt und einen Boykott staatlicher israelischer akademischer und kultureller Institutionen fordert (allerdings explizit kein Ende des Dialogs mit israelischen Kulturschaffenden und Intellektuellen). Der Rektor der Kölner Universität befand sich, als diese Ausladung bekannt wurde, in Israel.

Seyla Benhabi hatte Nancy Fraesers Engagement als kurzsichtig kritisiert

Mehrere Philosophen, darunter die Sozialethikerin Seyla Benhabib, haben Nancy Frasers Engagement als kurzsichtig kritisiert. Es gibt kaum ein Wort der Trauer oder Bestürzung angesichts der offenkundig judenfeindlichen Mordtaten der Hamas, die stattdessen als Reaktion innerhalb der Geschichte einer langwährenden, als kolonialistisch markierten Auseinandersetzung kontextualisiert werden. Gleichwohl hat gerade Seyla Benhabib die Aberkennung der Albertus-Magnus-Professur scharf kritisiert.

In der Tat wurde Nancy Fraeser als unbequeme Solzialethikerin eingeladen, die etwa die linke Verlagerung des Klassenkampfs auf die symbolpolitische Ebene der Anerkennung und Identität kritisiert. Ihre Kölner Auftritte wären, zumindest auf den ersten Blick, weitab vom Inhalt ihrer Solidaritätsadresse gewesen. Dass man darüber spricht, wäre vielleicht nicht ausgeschlossen, einfach weil die renommierte Kölner Gastprofessur neben öffentlichen Vorlesungen auch Seminare vorsieht, die von kritischen Studierenden in eigenständiger Auseinandersetzung mit dem Werk der oder des Geehrten – darunter Bruno Latour, Achille Mbembe oder zuletzt David Wengrow – durchgeführt werden.

Die nun ausgesprochene Ausladung und das faktische Auftrittsverbot widersprechen der Wissenschaftsfreiheit, die vom Grundsatz wissenschaftlicher Autonomie ausgehen. Es geht nicht einfach um den Eingriff in das Gut der Meinungsfreiheit – denn tatsächlich kann jede Institution bestimmen, ob sie es opportun findet, dass diese oder jene Meinung bei ihr auch propagiert wird. Es geht hier um das Verbot einer wissenschaftlichen Betätigung, um das Verbot, Argumente auszutauschen, die der Wahrheitsfindung dienen. Dass dieses Verbot eine Autorin jüdischer Herkunft trifft, verleiht dem Vorgang eine besondere Note.

Kritiker der Cancel Culture und Gender-Kritiker verhalten sich auffällig still

Nun ist es gleichermaßen verführerisch wie gefährlich, Carl Schmitts eingangs angeführte Sätze in jedem Zusammenhang zu zitieren, in dem vermeintlich irgendein Grundrecht außer Kraft gesetzt wird. Und ganz gewiss haben diejenigen, die Nancy Fraser ausgeladen haben, keinerlei Intentionen, die denen des NS-Staates nahekommen würden. Allerdings verlängern sie eine Traditition, die betreutes Denken oder betreute Kunst (man denke an die Eingriffe von Claudia Roth gegenüber der „Documenta“) zur Normalität erklären, besser gesagt, sie kommen ihr aus entgegengesetzter Richtung entgegen. Sie verkennen, dass Wissenschaftsfreiheit genauso wie die Kunstfreiheit als verfassungsrechtliche Grundfreiheiten Abwehrrechte gegen den Staat beinhalten und gerade diejenigen schützen, die gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen. Es sind körperschaftliche Privilegien, für die lange gekämpft wurde. Wer meint, dass die Inhaber von Freiheitsrechten gelegentlich vor der Inanspruchnahme ihrer Freiheit bewahrt werden müssen, sollte sich überlegen, ob und wie lange ein Gemeinwesen diesen abschüssigen Pfad entlangschlittern kann, ohne sich dabei die Knochen zu brechen.

Im Übrigen ist interessant, dass die üblichen Verteidiger der Wissenschaftsfreiheit – das gleichnamige Netzwerk aller möglichen Cancel Culture- und Gender-Kritiker – sich auffallend still verhalten. Anscheinend zur Freude all jener Deutschen, die in den letzten Monaten wieder damit hervorgetreten sind, gute Juden von schlechten Juden zu unterscheiden, indem sie etwa antizionistische Juden zu Antisemiten erklärten. Man mag sich schwer vorstellen, dass derartige Umtriebe intendiert waren, als die Verteidigung Israels zur „Staatsräson“ erklärt wurde. Mit seinen Feinden, wusste Voltaire, wird man irgendwie selbst fertig, aber vor seinen Freunden muss einen schon der Allmächtige bewahren.

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