Vom Mahner zum Wächter des Koalitionsfriedens

Corona Viele hatten ihre Hoffnungen in Karl Lauterbach gesetzt. Doch schon kurz nach seinem Antritt zeigt sich: Der Gesundheitsminister hat weder einen Plan noch seinen Laden im Griff
Der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler (links) pfeift auf den Konsens und fordert Gesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts) offen heraus
Der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler (links) pfeift auf den Konsens und fordert Gesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts) offen heraus

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Wieder kein starker Mann, den sich manche Deutsche so wünschen. Der durchgreift und die Schotten dichtmacht, auch vor Weihnachten. Was die beiden Sozialdemokraten, Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach, als Maßnahmen gegen Omikron präsentiert haben, klingt ein bisschen nach „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.

Mit Ausnahme von Sport- und Tanzveranstaltungen bleiben die Einschränkungen ab dem 28. Dezember auf den privaten Raum beschränkt, den ohnehin keiner kontrollieren kann. Freiheitseingriffe vor dem Fest wurden wohl mit Rücksicht auf das Weihnachtsgeschäft und die Angst vor Popularitätsverlust ganz vermieden, getrieben vom Koalitionspartner FDP, dessen eigene Reihen durch die Debatte um die Impfpflicht zerrissen sind, und der im Wort steht, dass es keinen neuerlichen Lockdown gebe.

Die Kakophonie widersprüchlicher Ansagen trägt nicht eben zur Beruhigung bei. Da gibt es einen Expertenrat, dessen Zusammensetzung nach Professionen ohnehin fragwürdig ist, und auf dessen Ratschläge die Politik bei erster Gelegenheit verzichtet. Dann schert eines seiner Mitglieder, der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler, aus, pfeift auf den Konsens und fordert Karl Lauterbach offen heraus. Dieser wiederum ist immer noch imstande, die Vorratslage zum Impfstoff schlüssig zu erklären.

Überhaupt ist der Mann ein Beispiel dafür, wie die Funktion den Mann macht: Von der Kassandra der Republik ist er innerhalb kürzester Zeit zum Wächter des Koalitionsfriedens mutiert. Säße er in der Opposition, würde er schäumen angesichts der angezogenen Bremse, mit der die Regierung Omikron parieren will. Auch wenn er nun nachschiebt, es gäbe „keine roten Linien“ bei dessen Bekämpfung.

Die Vorstellung, wie verheerend der neue Mutant tatsächlich wüten wird, bleibt derzeit Modellrechnern überlassen und ist reine Spekulation. Denn wir wissen noch nicht einmal, wie verbreitet Omikron in Deutschland ist, geschweige denn etwas über seine Wirkung, fast alle verlässlichen Daten stammen immer noch aus Südafrika mit seiner jüngeren und weitgehend schon vor der Infektion genesenen Population.

In London kann es eine Stunde dauern, bis ein Rettungswagen kommt

Möglicherweise verläuft die von ihm ausgelöste Krankheit viel milder als bei den bisherigen Varianten. Die Furcht aber, dass sich gleichzeitig viele Menschen infizieren und in Quarantäne geschickt werden könnten und damit die systemrelevante Infrastruktur bedroht wäre, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aus London wird berichtet, dass es jetzt schon bis zu einer Stunde dauern kann, bis ein Rettungswagen kommt.

Global gesehen wird die Menschheit gerade wieder einem großen Experiment ausgesetzt. In den Niederlanden drastische Maßnahmen, in Deutschland das gewohnte Bild des föderalen Flickenteppichs und in den USA so gut wie gar kein Feuer auf das Virus: Man wird immer erst vom Ende her erkennen, wie hoch der Preis war für welche Entscheidung.

Bezeichnend für die Debatte in Deutschland ist aber, dass – wie schon im vorigen Jahr schon der Impfstoff – nun die Impfpflicht zum Rettungsanker erklärt wird. Dabei sollten wir gelernt haben, dass das Virus schneller ist als selbst deutsche Spitzenforschung und wir dem Igel immer hinterherlaufen werden.

Der Deutsche Ethikrat hat diese Diskussion zur Impfpflicht nun befeuert mit einer Stellungnahme, die in der medialen Öffentlichkeit als Zustimmung kolportiert wird. Schaut man sich das Votum aber genauer an, haben sich von 24 Ratsmitgliedern nur 13 für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, sieben sind dafür, diese zu differenzieren und etwa auf besonders vulnerable Gruppen zu beschränken, vier sind gegen eine Impfpflicht. Es handelt sich also nur um eine sehr knappe Mehrheit.

Wir werden Corona auch durch eine Impfpflicht nicht aus der Welt schaffen. Diese Feststellung ist banal wie die Einsicht, dass wir das Virus nicht in der impfstoffbunkernden westlichen Hemisphäre in den Griff bekommen werden. Und egal, ob es einem chinesischen Labor entfleucht oder, wahrscheinlicher, Folge eines aus der Balance geratenen Ökosystems ist, es erinnert uns daran, dass wir nicht nur seine Opfer sind.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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