Karl Lauterbach beweist bei der Erhöhung der Krankenkassen-Beiträge schlechtes Timing

Gesundheitssystem Das Gesetz, das die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen stabilisieren soll, greift zu kurz. Lässt sich der Fehler von Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch korrigieren?
Ausgabe 31/2022
Gesundheitsminister Karl Lauterbach schwimmt sichtlich gegen seinen Untergang an
Gesundheitsminister Karl Lauterbach schwimmt sichtlich gegen seinen Untergang an

Foto: Omer Messinger/AFP via Getty Images

Selten kamen Empörung und Unverständnis so unisono: von den Krankenkassen, den Ärztevertretungen, der Krankenhausgesellschaft, der Pharmaindustrie, den Apothekern und nicht zuletzt von den Sozialverbänden und Gewerkschaften. Das Gesetz, das die Finanzen der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV-FinStG) stabilisieren soll, folgt offenbar dem Motto, dassviel Feind’ viel Ehr’ einbringt und geballte Unzufriedenheit deren Verursacher – hier Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – am Ende gut dastehen lässt.

Doch allein der Wille, es endlich mal allen zu zeigen, befördert weder automatisch soziale Gerechtigkeit noch Nachhaltigkeit. Dass es um die Finanzen der Krankenkassen – wie übrigens aller Sozialkassen – nicht nur aufgrund von Corona ziemlich schlecht bestellt ist, ist kein Geheimnis. Doch nun droht den Versicherten in Zeiten von dramatischer Inflation und explodierenden Gaspreisen eine happige Erhöhung des Zusatzbeitrags von voraussichtlich 0,3 Prozent: Der Krankenkassenbeitrag stiege dann auf 16,2 Prozent. Die ohnehin nur noch geringen Finanzreserven der Krankenkassen werden weiter abgeschmolzen und den Pharmaherstellern wird eine sicher zu verkraftende „Solidaritätsabgabe“ von einer Milliarde Euro aufgebrummt. Außerdem müssen die Apotheken ihre Arzneimittel für die Dauer von zwei Jahren noch vergünstigter an die Krankenkassen verkaufen.

Politisch brisant ist, dass das von Lauterbach selbst mit auf den Weg gebrachte Terminservice- und Versorgungsgesetz, welches Patient:innen durch erweiterte Sprechstunden eine zeitnahe fachärztliche Versorgung garantieren sollte, einkassiert wird. Die Ärzteschaft droht nun, die Praxen zu schließen und keine neuen Patient:innen mehr anzunehmen, wenn das Budget ausgeschöpft ist. Dies aber wäre genau jene Leistungseinschränkung, die der Minister bei seinem Amtsantritt kategorisch ausgeschlossen hat.

Braucht es eine große Kampagne?

Auch die im stationären Bereich avisierten Einsparungen bergen Sprengstoff. Gerade haben die Pflegekräfte in Nordrhein-Westfalen in einem langen, aufopferungsvollen Streik einen Entlastungstarifvertrag durchgesetzt. Nun kündigt Lauterbach an, Mitarbeiter:innen, die „am Bett“ arbeiten, aber keine klassische pflegerische Ausbildung haben, aus dem Pflegebudget herauszunehmen. Das könnte dazu führen, dass Tausende von Mitarbeiter:innen, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft, nicht mehr finanziert werden können. Alle Versprechungen, die dem Pflegepersonal in den vergangenen Monaten gemacht wurden, wären Makulatur. Gepaart mit den zu erwartenden Vorschlägen der Lauterbach-Kommission zur Schließung von Kliniken dürfte es in den kommenden Jahren in den Krankenhäusern noch unruhiger werden als bisher.

Noch handelt es sich „nur“ um eine Vorlage für das Kabinett, die den Bundestag noch passieren muss. Da im Herbst allerdings der Schätzerkreis die Daten erhebt, die für die Haushalte der Krankenkassen maßgeblich sind, bleibt wenig Zeit. Vielleicht wäre nun die Gelegenheit, dass sich die Beschäftigten im Gesundheitssystem mit den Versicherten, die Interesse an guter Versorgung und deren nachhaltiger Finanzierung haben, in einer großen Kampagne zusammentun? Vorschläge gibt es zuhauf.

Dass er sie auch aufnimmt, ist von diesem Gesundheitsminister, der sichtlich gegen seinen Untergang anschwimmt, allerdings nicht zu erwarten. Die Kurzfristigkeit seiner Maßnahmen räumt er schließlich selber ein.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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