Eine heilige Kuh in der deutschen Wissenschaft ist die fein säuberliche Trennung von Grundlagen- und Anwendungsforschung. Das hat historische Gründe, denn nach der Verstrickung der Wissenschaft in die rassistische und expansive Politik der Nationalsozialisten hatten die Alliierten – und insbesondere die USA – nach dem Krieg großes Interesse daran, zu verhindern, dass sich deutsche Forschung noch einmal dem Militär dienstbar machte. Gleichwohl sahen sie die Forschungsleistung der Deutschen für den Aufbau Westeuropas als so relevant an, dass sie für gute Bedingungen für die Grundlagenforschung sorgten. Forthin gerierte sich die Wissenschaft in der Bundesrepublik politikfern. Der Einsatz für Frieden oder Abrüstung konnte eine Karriere beenden.
In einem kürzlich in der FAZ erschienenen Beitrag nimmt Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Wissenschaft nun aber in ungewohnter Deutlichkeit politisch in die Pflicht. Unter dem Motto „Unsere Forschung vor China schützen“ kündigt sie eine „Zeitenwende“ auch für die deutsche Wissenschaft an. Die systemische Rivalität mit China mache es erforderlich, „das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit mit unseren sicherheitspolitischen Interessen in Einklang“ zu bringen. Auf dem Prüfstand stehen einerseits die Kooperationsbeziehungen der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, andererseits aber auch die Grundlagenforschung, deren „Dual-Use-Aspekte“ im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit für die militärische Forschung „mitgedacht“ werden müssten.
Künftig könnte es also sein, dass das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle öfters an den Toren der Unis klopft, um zu checken, was von dort entweder durch Gastwissenschaftler:innen oder über anderweitige Austauschbeziehungen nach China gelangt. Das „hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit“ könnte bald ans Gängelband westlicher sicherheitspolitischer Bedürfnisse genommen werden.
Zu hinterfragen, so führt Stark-Watzinger ihre Agenda weiter aus, sei aber auch „die strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung“, wobei sich erstere als moralisch überlegen betrachte. Richtig stellt sie fest, dass deren Grenzen ohnehin verschwimmen. Doch die Bundesrepublik sei nun – wie etwa in den USA oder in Israel – aufgefordert, „in einem zivil und militärisch geprägten Ökosystem Forschung in technologische Innovation umzusetzen“. Zur Disposition steht damit die sogar explizit genannte Zivilklausel, also die Selbstverpflichtung der Universitäten, nur für zivile Zwecke zu forschen. Sie war einmal Errungenschaft und Ausfluss der Demokratisierung der Wissenschaften seit den 1960er Jahren.
Die Botschaft scheint auch bei den Großforschungseinrichtungen angekommen zu sein. In einem Interview erzählte der neue Chef der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Patrick Cramer, eine „hochrangige Politikerin“ sei kürzlich an ihn herangetreten und habe ihn gebeten, sich zum Umgang mit China zu äußern. Bis Jahresende will die MPG nun „Handlungsempfehlungen“ zu einem „kritisch-konstruktiven Dialog“ entwickeln. Die MPG als unabhängige Forschungsinstitution hat, wie die Historikerin Carola Sachse in einer gerade erschienenen Studie dargelegt hat, einmal die Türe nach China aufgestoßen und der deutschen Wirtschaftspolitik den Weg geebnet. Möglicherweise wird Wissenschaftsdiplomatie künftig anders buchstabiert.
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