Wie viel Patriotismus darf’s denn sein?

Vaterlandsliebe Kaum ist der Pulverdampf in Halle verflogen, da kommen die Patrioten ums Eck. Bei der Jungen Union ist schließlich Deutschlandtag

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„Jemand wie Habeck, der Vaterlandsliebe nicht kennt, sollte nie Verantwortung für dieses Land bekommen“, meint Paul Ziemiak
„Jemand wie Habeck, der Vaterlandsliebe nicht kennt, sollte nie Verantwortung für dieses Land bekommen“, meint Paul Ziemiak

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Paul Ziemiak ist Generalsekretär der CDU und sagt: „Jemand wie Habeck, der Vaterlandsliebe nicht kennt, sollte nie Verantwortung für dieses Land bekommen“. Das ist die Sprache, die es braucht, um auf dem Deutschlandtag der Union tosende Ovationen einzufahren. Bekenntnisse zu Vaterland und gegen die Grünen. Das kommt an bei den alten Jungen der Union. Nun soll es hier aber nicht primär um die Union und ihr Verhältnis zu den Grünen gehen, sondern um die Frage, ob man ein Dreiviertel Jahrhundert nach Deutschlands Niederlage im 2. Weltkrieg, wieder vorbehaltslos patriotisch sein darf?

Gustav Heinemann, von dem eine spröde Haltung zum Patriotismus überliefert ist, hatte einen Nachfolger, der zugleich durch Heirat Mitglied seiner Familie geworden war, Johannes Rau. Von diesem, verheiratet mit einer Enkelin Gustav Heinemanns, stammt der Satz: „Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ Er prägte ihn, in der Rede nach seiner Wahl 1999 zum Bundespräsidenten, mithin 10 Jahre nach der Einheit.

Vor der deutschen Einheit und nach 1968 war es üblich, jedenfalls in aufgeklärten Kreisen, dem Patriotismus wie Heinemann zu begegnen oder ihn zu zivilisieren, indem man ihn als Verfassungspatriotismus bezeichnete und damit genau das gefühlige Moment nahm, dass Rau nun am Ende des zweiten Jahrtausends wieder hinzufügte.

Ja, wir lieben dieses Land“, schrieb auch Tucholsky am Ende der 1920er Jahre. Zwar tat er das erst, nachdem er in einem ganzen Buch kein gutes Haar an Nationalismus und Patriotismus in Deutschland gelassen hatte, aber er war nicht so dumm, Antideutscher zu sein. „(S)o widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land“.

Die wenigen Andeutungen mögen zeigen, dass es mit der Liebe zum Vaterland ein vertracktes Ding ist. So einfach, wie Johannes Rau es sich gemacht hat, ist es keineswegs. Dass aber den deutschen Parteien und auch den Grünen der Patriotismus in seiner alltäglichen Form geläufig und nahe ist, beweisen diese ständig, wenn sie tröten, dass selbstverständlich dem Land vor der Partei der Vorrang gebührt. „Aber erst kommt das Land, dann kommt die Partei“, hat Willy Brand 1992 gesagt.

Kaiser Wilhelm II. rief 1914: „Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche!“ und als Schröder 2004 den SPD-Vorsitz aufgab, sagte er: „(W)eil für uns gilt und immer gegolten hat: erst das Land und dann die Partei, weil wir eine Volkspartei sind und nicht eine Ansammlung von Populisten, weil wir Patrioten sind, aber keine Nationalisten“.

Allen ist gemein, bei allen sonstigen Differenzen, dass sie Momente für möglich halten, in denen das gemeinsame Interesse als Deutsche, Pluralität nicht mehr wünschenswert erscheinen lässt und die Differenzen geringer sind, als das vaterländisch Verbindende. Unter Merkel wurde die Negation der Pluralität nicht mehr mit patriotischen Überquell versehen, sondern einfach als „alternativlos“ dargestellt. Das fing an, als der fürsorgliche Staat nicht mehr primär Schwachen, sondern Banken zu helfen begann.

Interessensgegensätze nüchtern einzuebnen, ist sicherlich eine der Stärken der merkelschen Politik, die man ohne Weiteres als fleischgewordene Überparteilichkeit sehen kann. Ihr fehlt damit zugleich der Lamettafaktor. Das kommt trotzdem gut an. Das war beim Vorvorvorgänger Schmidt so und ist auch bei Merkel nach wie vor gegeben. Dezision und Sachlichkeit mögen die Deutschen, aber es ignoriert ein wenig das Bedürfnis der Parteigetreuen nach Stallwärme und heiligen oder zumindest hehren Motiven und Zielen.

Deswegen kommt der Generalsekretär der CDU mit Vaterlandsliebe um die Ecke, und weil man sich als Spitzenpolitiker der Union nicht einfach hinstellen und behaupten kann: meine Liebe teilt sich auf, zwischen meiner Familie und dem Vaterland, muss ein abgrenzender Bezugspunkt her. Da die SPD um Platz drei mit der AfD kämpft, konzentrieren sich die Merkelüberwinder der Union auf die Grünen. Das hat schon Söder auf dem gleichen Deutschlandtag der JU getan, als er den Grünen Doppelmoral vorwarf und dass man sich die Grünen leisten können muss, was die meisten der Deutschen nicht könnten.

Der Vorteil dieser Art der Auseinandersetzung mit den Grünen ist, dass zugleich die Wähler*innen der AfD angesprochen werden. Der Nachteil, die zahlreichen modernen Mitglieder der Partei wie Daniel Günther, Karien Prien, Ruprecht Polenz usw. werden verprellt. Das ist aber durchaus gewollt. Man möchte die Pluralität der Union sichtbar und produktiv machen. Die Vorgenannten sollen sich ruhig äußern, aber sie sollen nicht die Deutungshoheit über das haben, was Union ausmacht.

Es bleibt die Frage, losgelöst von der Union, ob es richtig ist, den Patriotismus bzw. die Vaterlandsliebe in Deutschland zur Standortbeschreibung einzusetzen und welcher Standort wohl damit beschrieben werden könnte? Anders als in anderen Ländern ist das vorbehaltlose Bekenntnis zur Heimat und der Liebe zu ihr, schon deswegen problematisch, weil in der Rückschau von 100 Jahren 12 Jahre Nationalsozialismus als prägende und verbindende deutsche Ideologie zu berücksichtigen sind.

12 Jahre, die das Deutsche Reich tatsächlich zu einem tausendjährigen Ereignis gemacht haben. Wer den völkischen Nationalismus dieser Zeit nur als Perversion der Heimatliebe abtut, macht es zu leicht, weil es ja zugleich der Kern des Nationalsozialismus war. Ohne Heimat und Volk als Kristallisationspunkt dieser Ideologie hätte es keinen NS gegeben. Der Sozialismus war in ihr verzichtbar, nicht aber die Volksgemeinschaft und die bedingungslose Liebe der Heimat. Harmonie, Größe und Ausgrenzung allen Volks- und Wesensfremden waren die Grundbedingungen für die Barbarei, die folgte. Pluralität war externalisiert. Diese gab es nur noch bezogen auf Länder und Völker, nicht aber auf das eigene Volk. Zwar sollte im eigenen Volk Konkurrenz herrschen, aber nur, um die Edelsten über die Masse zu erheben. Hitler nannte das „germanische Demokratie“ (A.H., Mein Kampf, 100). Dieser lag kein Interessensgegensatz mehr, sondern nur eine Differenz in Stärke und Durchsetzungsfähigkeit zur Grunde.

Eine gewisse Homogenitätsvorstellung muss aber auch dem angeblich nur liebenden Patriotismus unterlegt sein, die sich zwar in Bürgerlichkeit und Arbeit für das Gemeinwohl auflösen lässt und die der Verfassungspatriotismus meint, wenn er sich auf die Gesellschaft der Citoyens bezieht. Einer Gemeinschaft, in der die Einzelnen sich verwirklichen, in dem sie ihre Interessenslage auch im Plural realisieren. Am Ende des Tages aber wird es immer schwer sein, den progressiven vom dumpfen Patriotismus abzugrenzen, denn wenn es zum Schwur kommt, sind alle Katzen grau und Zwischentöne verdächtig.

Gleichwohl gibt es ja den konstitutiven Raum des Politischen immer noch in seiner nationalen Um- und Begrenzung. Es braucht also auch einen positiven Bezug zu ihm, und da ist Robert Habeck zu folgen, mit vielen Vorbehalten, aber! hier und dort, wer viel will und die Welt verändern, der braucht einen positiven Bezugspunkt zu dem politischen Raum, in dem er oder sie primär wirken will. So verstanden ist linker Patriotismus aber keiner, der des missverständlichen Begriffes bedürfte. Weder mit Verfassung, noch links vorneweg.

Das beweist gerade Paul Ziemiaks Anwurf gegen Habeck, der nur vordergründig negativ ist. Man sollte Menschen, die Generalsekretäre in der CDU werden konnten, nicht für doof halten. Natürlich weiß Ziemiak, was nun kommt, nämlich die Grünen und Habeck ggf. sogar selbst, die das Bild klarrücken und darauf verweisen werden, dass Habeck zwar nicht explizit von Vaterlandsliebe spricht, aber doch davon, dass „(i)ntellektuelle Redlichkeit (..) zum Bemühen um einen linken Patriotismus (zwingt)“. So wird jedenfalls, geht es nach den Wünschen von Ziemiack und AKK, ein Teil der erwünschten Reaktionen ausfallen. Darauf kann man sich dann sowohl positiv wie negativ beziehen. In jedem Fall wird die Vaterlandsliebe akzeptabel. Das aber ist sie in Deutschland weder in dieser noch in der Explikation als Patriotismus, egal mit welcher Proposition sie auch immer versehen sein mag.

Zwar bleibt es richtig, dass aus Patriotismus, ja noch nicht einmal aus Nationalismus, zwingend Terrorismus nach innen und außen folgen muss, aber die 12 Jahre deutscher Geschichte sind eben noch nicht zu Ende. Sie lasten auf allen lebenden und kommenden Generationen und sind Mahnung, schon bei harmlosen Bekundungen, ein stolzes Mitglied des Volkes zu sein, Schluckauf zu bekommen oder heiser zu werden. Es reicht eben nicht, nur ein Stelenfeld im Herzen der Hauptstadt zu haben und über Juden nichts oder nur Gutes zu sagen, man muss gerade in der kritischen Haltung zu Volk und Nation beweisen, dass man aus der Geschichte zumindest gelernt hat, Gemeinsamkeit und Harmonie nicht aus einer Ideologie zu beziehen, die den Ermöglichungsraum von u.a. Politik mystisch verklärt. Stattdessen brauchen wir Lob der Negation und der Differenz, als Bedingung des Fortschritts. Pluralität der Meinungen, auch wenn man die Wissenschaft glaubt zu repräsentieren, ist und bleibt wichtig. Große Ziele rechtfertigen jedenfalls niemals den Wunsch nach Homogenität. Weder landsmännisch noch bezogen auf Positionen und Meinungen.

Die kritische Distanz, die ein Parteimitglied zum eigenen Verein haben sollte, sollte er noch einmal gesteigert zu Volk und Nation haben. Wenn ihn dennoch ab und an ein warmes Gefühl für sein Land durchströmt, so ist das völlig in Ordnung, aber auch kein Grund ein Bohei davon zu machen.

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