Ausgebeutet mit Ausbildungsduldung

Arbeitsmarktintegration Geduldete Flüchtlinge nehmen aufgrund ihrer Perspektivlosigkeit für eine Ausbildungsduldung teils ausbeuterische Beschäftigungsbedingungen in Kauf

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Ausgebeutet mit Ausbildungsduldung

Foto: imago/Deutzmann

Die mit dem Integrationsgesetz 2016 eingeführte Ausbildungsduldung sollte die Rechts- und Planungssicherheit von Unternehmen verbessern, die Geflüchtete ausbilden. Die Ausbildungsduldung bietet eine Bleibeperspektive für die Gesamtdauer der Ausbildung, bei anschließender ausbildungsadäquater Beschäftigung wird ein Aufenthaltsrecht für zwei weitere Jahre erteilt (sog. „3+2-Regel“).[1] Positiver Nebeneffekt ist, dass die Regelung die teils jahrelange Exklusion und Zukunftsunsicherheit durch den Asylprozess und anschließende Kettenduldungen für die betroffenen Flüchtlinge verringert. Auf eine entsprechende Regelung hatten insbesondere Arbeitgeberverbände gedrängt, allen voran die Handwerkskammern, die hofften, über einen liberaleren Zugang zu Ausbildung für geduldete Flüchtlinge den „Fachkräftemangel“ auf dem Arbeitsmarkt zu lindern und zuvor nicht besetzbare Lehrstellen zu vergeben. Bewerbermangel gibt es vor allem in Ausbildungsberufen mit relativ geringem Entgelt, hoher Arbeitsbelastung und atypischen Arbeitszeiten oder im ländlichen Raum. Für viele geduldete Flüchtlinge ist die Ausbildungsduldung seither die einzige Hoffnung, um ihren Aufenthalt längerfristig zu sichern. In der Folge, berichtet uns ein Mitarbeiter einer Industrie- und Handelskammer in Niedersachsen, begännen sie häufig eine „Ausbildung um den Aufenthalt in Deutschland vermeintlich zu sichern, mit der Intention zumindest. Das Problem ist, dass es zu früh erfolgt, das heißt da gehen Personen schon in Ausbildung, die vielleicht eher eine Einstiegsqualifizierung oder einfach nochmal einen Sprachkurs machen sollten, aber aus Angst vor einer drohenden Abschiebung fangen sie schon eine Ausbildung an. Das sind politische Rahmenbedingungen, da können wir natürlich nichts daran ändern, aber es ist sehr ungünstig, denn es treibt die Menschen in Ausbildung, obwohl sie noch nicht reif sind dafür.“ [2]

Um eine Berufsausbildung – insbesondere den berufsschulischen Teil – erfolgreich abschließen zu können, empfehlen Arbeitsmarktberatungsstellen in der Regel Deutschkenntnisse mit einem Sprachniveau von B1 oder B2.[3] Da ihnen alternative Handlungsoptionen verwehrt sind, nehmen viele geduldete Flüchtlinge jedoch auch mit deutlich schwächeren Sprachkenntnissen eine Ausbildung auf, um in Deutschland bleiben zu können. In der Folge werden sie teilweise als Arbeitskräfte mit einem Gehalt unterhalb des Mindestlohns eingesetzt, während ihre Chancen, die Ausbildung tatsächlich abschließen zu können, gering sind. „Gastronomie und Gebäudereinigung sind Ausbildungswege, wo nicht auf Schulabschlüsse oder Sprachniveau geguckt wird. Die ganzen abgelehnten Afghanen und Nordafrikaner, die kein Aufenthaltsrecht per Gericht bekommen haben, bekommen gesagt: ‚Letzte Chance, du musst eine Ausbildung finden‘. Und dann sind sie einfach direkt in diese Ausbildungsbranchen reingerutscht und haben gedacht, ok, das ist meine Rettung, in Deutschland zu bleiben. Und jetzt tun sie sich da oft sehr schwer mit Sprachniveau A0, ohne Schulabschluss“, erzählt uns ein Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Sachsen im Interview. „Im Reinigungsbereich und auch im Gastronomiebereich“, führt er weiter aus, „wenn man da einen Auszubildenden anstellt, der offensichtlich keine Chance hat, die Ausbildung zu schaffen, hat man trotzdem sehr günstige und ausbeutbare Arbeitskraft für die Ausbildungszeit. Und das ist auch die Rückmeldung, die wir bekommen, dass die oft sehr viel mehr arbeiten müssen, als im Vertrag steht.“

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet uns auch ein Mitarbeiter einer Handwerkskammer in Niedersachsen. Es gebe Betriebe, die seit Jahren keine Bewerbungen für die Ausbildungsplätze haben und massive Problem hätten, Nachwuchs zu finden. Diese seien in der Folge auch bereit, Bewerberinnen und Bewerber mit schwächeren Sprachkenntnissen einzustellen. Dabei gebe es „die schwarzen Schafe, die sagen, die Auftragsbücher sind voll, wir müssen die abarbeiten. In einer konjunkturellen Hochphase wie jetzt momentan ist ein Auszubildender günstiger, als wenn ich ihn als Helfer einstelle für den Mindestlohn.“ Es seien jedoch „ganz, ganz wenige, die sagen ‚Ich brauche zwei helfende Hände, als Azubi sind die günstiger, als wenn ich die für 8,84 Euro einstelle“. Diese kleine Minderheit der Betriebe sage sich, wenn der Auszubildende „‘in der Berufsschule nicht klarkommt, muss er Schritte unternehmen, um klarzukommen. Das ist mir relativ egal, für mich ist wichtig, dass er morgens pünktlich zur Arbeit kommt.‘“ Er kenne aber auch Fälle, in denen Betriebe den Auszubildenden aus humanitären Gründen den Ausbildungsplatz gäben: „Da hat jemand ein Praktikum gemacht, man entwickelt eine persönliche Bindung zu dieser Person und die Person sagt: ‚Mensch ich brauche einen Ausbildungsplatz, sonst werde ich abgeschoben.‘ Dann ist man auch eher gewillt zu sagen: ‚Komm, ich gebe dir auch den Ausbildungsplatz.‘“ Ein weiterer Fall seien Betriebe, die sagen, „‘es ist eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, die wir haben und wir wissen es ist ein Mehraufwand, aber wir sind auch bereit, Ressourcen freizustellen und geben auch Schwächeren eine Chance.‘“

Die Stimmung unter den Geflüchteten in Bezug auf ihre Arbeitsrechte sei teils sehr resigniert, konstatiert eine Mitarbeiterin einer niedersächsischen Beratungsstelle. Es sei ihr mehrfach aufgefallen, dass Geflüchtete sagten: „Das machen die, weil wir Ausländer sind. Das ist anders für uns als Ausländer. Aber mit so einer Selbstverständlichkeit, als wenn das einfach ok wäre und es ist halt so und wird so hingenommen. Nicht so ‚wir werden diskriminiert, weil wir Ausländer sind und wir machen jetzt was dagegen‘, sondern ‚ja, das ist so, wir sind Ausländer.‘“ Notwendig sei es mit Blick auf diese Probleme, den Zugang zu Bildung, Sprachförderung und Arbeit jenseits der Ausbildungsduldung systematisch zu erleichtern und dabei eine langfristige Aufenthaltssicherheit ermöglichen, stellt ein Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Hamburg im Interview fest. „Die Politik sieht weg vom Problem der Vielzahl der Menschen aus Afghanistan, sie sind von vielen Förderprogrammen ausgenommen oder haben nur teilweise den Zugang“, kommentiert er die Entwicklung. Statt Arbeitsverboten müsse viel schneller der Zugang zu Arbeit erlaubt werden, „dass Ausländerbehörde und Innenbehörde sagen: ‚die Menschen sind ja im Land. Und wenn sie die Sprache zum Teil erlernt haben, wollen sie weg von den Sozialleistungen, von den Unterkünften, wollen Selbstwirksamkeit und Arbeit.‘“ Bisher sei der Zugang zu Arbeit „immer noch ein Zickzackkurs und erschwert.“

Ein restriktiver Umgang mit Teilhabe am Arbeitsmarkt, so zeigen die Beispiele, hat nicht nur negative Konsequenzen für Menschen mit Duldungsstatus selbst, die sich dadurch gezwungen sehen, jede für sie mögliche Arbeit anzunehmen. Er verstärkt zudem die Unsicherheit von Betrieben, die Geflüchtete ausbilden wollen. Notwendig, um einen qualifizierten Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, wäre ein Aufenthaltsrecht zur Ausbildung, das ausbildungsvorbereitende Maßnahmen (z.B. Sprachkurse, Vorqualifizierungen) umfasst. Für eine entsprechende Regelung sprächen nicht nur humanitäre, sondern auch gewerkschafts- und integrationspolitische sowie betriebswirtschaftliche Gründe. Sichere Bleibeperspektiven würden es ermöglichen, die politisch produzierte Vulnerabilität der geduldeten Flüchtlinge in Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt abzuschwächen und darüber Arbeitnehmerrechte und Beschäftigungsstandards zu gewährleisten.

[1] Wird die Berufsausbildung abgebrochen oder bei ausbleibender Übernahme im Anschluss keine ausbildungsadäquate Beschäftigung gefunden, erhalten die geduldeten Flüchtlinge lediglich eine Duldung mit einer Laufzeit von sechs Monaten, um einen neuen Ausbildungsplatz oder eine entsprechende Arbeit zu finden.

[2] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de) geführt wurden. Sie wurden sprachlich leicht geglättet.

[3] Die zu einem erfolgreichen Abschluss zu Beginn der Ausbildung notwendigen Deutschkenntnisse hängen stark von individuellen Lernstrategien der Auszubildenden ab, aber auch den Möglichkeiten, Nachhilfe und Förderung im Betrieb, in der Berufsschule und im Alltag zu erhalten. Ein erfolgreicher Abschluss einer Ausbildung ist auch mit deutlich schwächeren Sprachkenntnissen möglich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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