Oscar-Verleihung: Flitzer, ein Aussetzer und der heikelste Punkt des Abends

Kulturkommentar Dieser Oscar-Abend war einer der unterhaltsamsten der letzten Jahre. Auch mit seinen – wie üblich heiklen – politischen Aussagen
Ausgabe 11/2024
Es ist ratsam, sich diese Oscars in Gänze anzusehen
Es ist ratsam, sich diese Oscars in Gänze anzusehen

Foto: Frederic J. Brown/AFP/Getty Images

Die Antworten auf die Frage, was man eigentlich kommentiert, wenn man die Oscars kommentiert, fallen jedes Jahr anders aus. Selten aber gehen sie so weit auseinander wie dieses Mal. Da gibt es die üblichen Anmerkungen zum Aussehen und Auftreten einzelner Stars: Der 83-jährige Al Pacino „verdarb“ mit seinem allzu saloppen Auftritt die eigentlich als Höhepunkt gedachte Ansage des Oscars für den besten Film an Oppenheimer – weder trug er die Titel der zehn nominierten Filme vor, noch sprach er die magischen Worte „... and the Oscar goes to“ – und löste damit einmal mehr eine Diskussion darüber aus, ob man den „Alten“ noch so viel Verantwortung überlassen sollte.

Der ehemalige Wrestler John Cena dagegen wurde für den Mut gelobt, in ironischer Hommage an den „Flitzer“-Vorfall von vor 50 Jahren nackt, einzig mit dem Umschlag vor dem Geschlecht, seitwärts über die Bühne zu hoppeln und dabei die Wichtigkeit der Kostüme im Film anzupreisen. Mehr Lacher bekam nur Stand-up-Comedian John Mulaney, der die Verleihung des Oscars für den besten Sound mit einer herrlich verstörenden Zusammenfassung des Baseball-Filmklassikers Feld der Träume einleitete.

Überhaupt war dieser Oscar-Abend einer der unterhaltsamsten der letzten Jahre. Ryan Gosling brachte mit dem Vortrag des Barbie-Songs I’m just Ken gar das Haus zum Beben, so leidenschaftlich und mitreißend war seine Darbietung samt choreografischer Anspielungen an Marilyn Monroe und Teilnahme zahlreicher Barbie-Co-Stars auf der Bühne und im Publikum.

Viele Oscars an nicht-amerikanisches Kino

Natürlich sind die Oscars auch der bevorzugte Ort, um Tendenzen zu konstatieren. Jimmy Kimmel fasste in seinem Eröffnungsmonolog die Lage ganz gut zusammen, wenn er von einem tollen Jahr fürs Kino und einem schweren, weil von Streik gekennzeichneten Jahr fürs Business sprach. Er bedankte sich im Namen der Schauspielergewerkschaft sogar bei den übrigen Gewerken für die Solidarität. Eine weitere schöne Geste war, dass er gleich zu Beginn mit respektvoller Bewunderung Margot Robbie und Greta Gerwig hervorhob, die als Verantwortliche für den Erfolg von Barbie ohne eigene Oscar-Nominierungen geblieben waren.

Als wichtigster Trend stellte sich heraus, wie viel internationaler und weniger nur auf Hollywood konzentriert die Oscars inzwischen geworden sind. Dass die Academy einen Film wie Der Junge und der Reiher des japanischen Animationsmeisters Hayao Miyazaki einem Spider-Man. Across the Spider-Verse vorzieht, wäre vor wenigen Jahren noch nicht vorstellbar gewesen. Wie überhaupt selten viele Preise an nicht-amerikanisches Kino gingen, darunter auch der Oscar für den besten Dokumentarfilm, den mit 20 Tage in Mariupol von Mstyslav Chernov zum ersten Mal ein ukrainischer Film erhielt.

Womit man beim stets heikelsten Punkt des Oscar-Abends wäre: den politischen Aussagen. Chernovs Dankesrede, die der Regisseur mit den Worten begann, wie gerne er den Oscar eintauschen würde dagegen, diese Dokumentation des russischen Angriffs auf die Ukraine nie drehen zu müssen, war von ergreifender Prägnanz. Jonathan Glazer, der britische Regisseur des Holocaust-Dramas The Zone of Interest, der den Oscar als bester fremdsprachiger Film erhielt, wollte mit einer ausgesuchten Formulierung der Komplexität des Israel-Gaza-Konflikts gerecht werden, nur um hinterher erleben zu müssen, wie man seine Sätze durch Reduktion ins Gegenteil verkehrt. Weshalb jedem empfohlen sei, sich doch das Original in voller Gänze anzuhören.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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