Generäle auf allen Kanälen

Medien Seit Putins Angriff sind eine ganze Reihe neuer Podcasts zum Ukraine-Krieg erschienen. Aber führen all die neuen Formate wirklich zu mehr Klarheit?
Ausgabe 11/2022
Nicht immer wird man vom Zuhören schlauer
Nicht immer wird man vom Zuhören schlauer

Foto: Addictive Stock/IMAGO

Ich bin überfordert. Wieder einmal „besonders überfordert“, muss ich eigentlich sagen, denn im Grunde befindet man sich ja als Medien konsumierender Mensch schon seit dem Beginn der Corona-Krise in einem Zustand latenter Dauerüberforderung. Zwei Jahre lang war die große Krise eine Pandemie, spätestens seit dem 24. Februar ist nun die oberste Ursache der Verunsicherung ein Krieg in Europa. Denn spürbar ist die Katastrophe in der Ukraine auch hierzulande, wo man doch das Privileg hat, von der unmittelbaren Lebensgefahr noch weit weg zu sein, wo man das Leid, die Zerstörung, die Angst nicht täglich am eigenen Leib erfährt. Dafür ist hier Doomscrolling angesagt – von Schreckensmeldung zu Schreckensmeldung, ein Brennpunkt nach dem anderen, und mit all dem geht eben auch Überforderung einher.

Orientierung ist also vonnöten – und spätestens seit Corona hat sich dabei auch in der Podcast-Landschaft ein neuer Trend entwickelt: der Krisenpodcast. Prominentestes Beispiel ist das Coronavirus-Update von NDR Info mit Christian Drosten, in dem der Virologe der Charité über neue Entwicklungen rund um die Pandemie sprach. Der Podcast ging mit weit über 100 Millionen Abrufen durch die Decke. Und was im Frühjahr 2020 eine kleine „Revolution“ war, wurde schon während der Corona-Krise zum Vorbild für viele weitere ähnliche Formate.

Während des Kriegs in der Ukraine ist das nun wieder zu beobachten. Allein der NDR ist mit zwei Formaten dabei: Krieg in Europa – das Update zur Lage in der Ukraine liefert zwei Mal täglich kurze News-Updates, außerdem erscheint der Sicherheitspodcast Streitkräfte und Strategien, den es schon länger gibt, inzwischen ebenfalls täglich. Dort geht es, wie der Name schon sagt, viel um Militärisches, um Raketen und Strategien.

Der Krieg ist nur noch Podcast-Aufhänger

Und weil es scheinbar dazugehört, dass die diversen Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Konkurrenzprodukte ins Rennen schicken, gibt es auch beim MDR einen Podcast zum Ukraine-Krieg – Was tun, Herr General? (ja, der heißt wirklich so) –, außerdem noch den ARD-Podcast Alles ist anders – Krieg in Europa, der sich vor allem an eine jüngere Zielgruppe richtet. Auch andere Anbieter haben inzwischen nachgezogen. Die Podcast-Plattform Podimo bietet mit dem Ukraine Report – Der Interview Podcast ein Format an, bei dem vor allem Ukrainer:innen zu Wort kommen. Und auch der Spiegel hat seinen Auslandspodcast Acht Milliarden – vom Moderator mit Grabesstimme angekündigt – intensiviert. Er erscheint jetzt drei Mal pro Woche – und widmet sich ausschließlich „Putins Krieg“, wie es im Titel nun heißt.

Ist das wirklich nötig? Haben wir nicht schon genug Liveticker, Schwerpunkte und mediale Reizüberflutung? Dazu muss man sagen, dass keiner der Podcasts unter aller Kanone ist, vermutlich wird jedes Format seine Hörer:innen finden. Und doch ist die Menge an Kriegspodcasts, die derzeit das Licht der Welt erblicken, ein Lehrstück darüber, wie ungut Masse wirken kann. Einzeln mögen all die Formate für ein ausgewähltes Publikum interessant und gut sein und im Anliegen ehrenwert. In der Summe wird der Krisenpodcast mitunter zu einem zynischen Medienphänomen. Der Krieg ist da ebenso Tragödie wie Podcast-Aufhänger – und man fragt sich manchmal, ob es um Aufklärung geht oder um die Frage, wer den besten General abstaubt. Selbst die Betroffenheit wird da gefühlt zum Teil des „Stils“.

Das ist, wie gesagt, kein Vorwurf an einzelne Formate, und auch nicht an die Redaktionen – es zeigt vor allem, wie sehr der Podcast zentraler Bestandteil der Medienlandschaft geworden ist. Mit allen Schattenseiten – zum Beispiel, dass am Ende von sehr viel mehr Informationen nicht weniger Überforderung steht.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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