Burg: Mutige Lehrer sind ein Anfang – aber wir haben sie zu lange alleingelassen

Meinung Der Aufschrei war laut und kurz: Im Juni berichteten ein Lehrer und eine Lehrerin von rechtsextremistischer Propaganda, die von Schüler:innen verbreitet wurde. Passiert ist bisher nichts. Warum wir mehr Engagement gegen rechts brauchen
Ausgabe 29/2023
Wenn in Schulen rechtsextremistisches Gedankengut ungehindert kursieren kann, wird es gefährlich
Wenn in Schulen rechtsextremistisches Gedankengut ungehindert kursieren kann, wird es gefährlich

Foto: Imago/imagebroker

Es gab eine kurze Welle der Aufmerksamkeit: Ein Lehrer und eine Lehrerin im brandenburgischen Burg machten Anfang Juni auf rechtsextreme Propaganda unter den Jugendlichen an der Schule aufmerksam. Nach anfänglicher Aufregung und entsprechender Berichterstattung verschwand das Thema schnell wieder vom Radar. Mitte Juli dann die Nachricht: Beide Lehrkräfte verlassen Schule und Stadt. Nicht nur rechtsextreme Gruppen hatten sie bedroht, sondern es gab auch heftige Reaktionen aus der Elternschaft.

Leider ist Burg kein Einzelfall. Eine Recherche des Welt-Journalisten Alexander Dinger ergab, dass das Schulministerium in Brandenburg Meldungen aus vielen Schulen bekommt, in denen offener neonazistischer Antisemitismus zum Vorschein kommt. Rechte Dominanz an Schulen spiegelt eine Normalisierung rechter Einstellungen in der Alltagskultur ganzer ostdeutscher Regionen wider, die seit Mitte der 1990er Jahre von Wissenschaftlern, Praktikern der sozialen Arbeit und engagierten Demokraten vielfach beschrieben, aber aus dem öffentlichen Bewusstsein immer wieder verdrängt worden ist.

Was heute die Klassenchats mit Hitler-Bildern, Holocaust-Leugnung und plumpem Rassismus sind, waren vor 15 Jahren die CDs mit der Musik der verbotenen Rechtsrock-Band Landser, die zu Mord und Totschlag aufriefen. Die Schüler von damals sind die Eltern von heute. Denn die Rechtsextremen sind nicht mehr die Schläger und Hooligans, sie sind inzwischen Firmeninhaber, Elternvertreter, Vereinsmitglieder und nicht zuletzt Mandatsträger in Parlamenten. Sie sind zu einem Teil der Gesellschaft geworden.

Wer vor Ort die Normalisierung rechter Hegemonie kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer, gerät unter Druck und muss die Region verlassen, weil es oft nicht bei verbalen Anfeindungen bleibt. Auch das ist seit vielen Jahren in manchen Regionen Ostdeutschlands der Fall. Über Jahre engagierte Leute sehen sich alleingelassen, werden ausgegrenzt, geben schließlich völlig erschöpft auf und weichen in Großstädte wie Berlin oder Leipzig aus oder ziehen gleich nach Westdeutschland.

So verlassen seit zwei Jahrzehnten immer wieder jene Menschen diese Regionen, die dort gebraucht werden: als Kommunalpolitiker, als kreative Kulturschaffende, als Akteure von Bürgerinitiativen, als Unternehmer und als Menschen, die für eine lebendige Demokratie einstehen. Gleichzeitig kann man es niemandem verdenken, dass er sich so entscheidet. Persönliche Sicherheit und psychische Gesundheit gehen vor. Zivilcourage in einer Pressemitteilung zu fordern, ist etwas anderes, als sie täglich vor Ort zu leben.

Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zu den 1990er Jahren: die AfD. Sie ist in Ostdeutschland eine offen rechtsextrem auftretende Partei mit einem gesellschaftlichen Resonanzraum von bis zu 30 Prozent der Wählerschaft. Es geht hier nicht mehr um eine rechte Jugendkultur. Wir sehen einen gesellschaftlichen rechtsradikalen Block, der im vorpolitischen Raum handlungsfähig und wirkmächtig ist, etwa an Schulen.

Der Fall Burg ist schon wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Es wäre ein Anfang gemacht, wenn wir dennoch im Kopf haben, dass die rechtsextreme Dominanz an vielen Orten in Ostdeutschland nach wie vor weiterexistiert. Wie kann die Gesellschaft jene unterstützen, die tapfer dagegenhalten? Das müssen sich auch jene im Westen fragen, die gerade ihre Zeitung zur Seite legen, in der Burg jetzt zum ersten Mal aufgetaucht ist.

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