Nach Angriff auf Matthias Ecke: Unterstützt die Demokraten vor Ort!

Meinung Leider sind die Angriffe auf Wahlkämpfer im Osten kein Einzelfall: Viele Demokrat*innen berichten seit Jahren von Kot im Briefkasten, zerstochenen Reifen, Drohungen. Was sie brauchen, ist Aufmerksamkeit und konkrete Unterstützung
Ausgabe 19/2024
Angriffe auf Politiker nehmen seit Jahren zu: Schüsse auf das Wahlbüro von Karamba Diaby im Januar 2020 (Archivbild)
Angriffe auf Politiker nehmen seit Jahren zu: Schüsse auf das Wahlbüro von Karamba Diaby im Januar 2020 (Archivbild)

Foto: Steffen Schellhorn/Imago Images

Eine Tat neuer Dimension, da scheine etwas zu kippen: Die berechtigte Empörung ob des Angriffs auf den SPD-Politiker Matthias Ecke führte zu diesen Wortwahlen. Die Realität indes ist eine andere. Gewiss, Angriffe mit einer schweren Körperverletzung, sind Gott sei Dank die Ausnahme. Doch unterhalb dieser Schwelle haben die Angriffe auf Politiker und auch auf ehrenamtlich Engagierte schon länger zugenommen. Wer in den Regionen mit Akteuren aus Kommunalpolitik, Verbandsarbeit und Demokratie-Initiativen spricht, hört von vielen Vorfällen, die schon lange keine Einzelfälle mehr sind: Kot im Briefkasten, zerstochene Reifen, ein Riss in der Frontscheibe des Autos, Beschimpfungen und Schmähungen in sozialen Netzwerken. Von solchen Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen berichten jene Menschen, die ihr Gesicht für die Demokratie in den Wind halten, dort, wo die Luft für die demokratische Kultur dünn geworden ist.

Es gilt, bei Angriffen auf die demokratische Zivilgesellschaft genau hinzuschauen. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister hat, anders als eine Bundestagsvizepräsidentin, keine Limousine, keinen Fahrer und vor allem keinen Personenschutz. Das macht einen Angriff, eine Bedrohung oder eine Nötigung nicht weniger verachtenswert. Aber es verweist auf die feinen Unterschiede. Wird ein Bundespolitiker angegriffen, gibt es – zurecht – sofort mediale Öffentlichkeit und Solidarität. Jene, die ihr Gesicht für die Demokratie vor Ort in den Wind halten, fühlen sich indes oft von den Organisationen, die sie vertreten, im Stich gelassen. Sie müssen allein ausbaden, was ihnen Menschen antun, die sich in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld bewegen. Ein Vorsitzender eines lokalen Vereins kann den Ort am Abend nach einer Bürgerversammlung, auf der er hart angegangen wurde, nicht verlassen wie ein Berufspolitiker, der in seinen Heimatort zurückfährt.

So ist es eine Frage der Wahrnehmung und der gesellschaftlichen Stellung, welche Angriffe ein breites Echo und breite Solidarität finden, und welche nicht. Matthias Ecke hat es in einer kurzen Stellungnahme nach dem Angriff auf den Punkt gebracht: Demokratisches Engagement, schreibt er, lebe immer auch vom Ehrenamt. Ziehen sich aber jene, die ehrenamtlich ein offenes Treffen betreiben, die Geflüchteten Deutschunterricht ermöglichen oder sich gegen die Gleichgültigkeit gegenüber sozialer Spaltung engagieren, zurück, so erlischt wieder ein Licht der Demokratie und der Teilhabe in einer Region.

Die Montagsdemonstrationen haben das politische Klima vergiftet

Noch ist unklar, was die Täter motivierte, die auf Matthias Ecke und seine Helfer einschlugen – darunter ein 17-jähriger Jugendlicher, der sich bekannte. Bei der Suche nach den Ursachen ist von Werteverfall, Verrohung der Sitten und der schlechten Erziehung der Jugend die Rede, denen es an Respekt gegenüber Polizisten, Rettungskräften und Feuerwehrleuten mangle. Mag sein, doch hat all jenes selbst eine eigene Ursache: reale und empfundene Handlungsohnmacht und Mechanismen politischer Radikalisierung. Das Misstrauen, ja, der Hass eines Teils der Bürger gegenüber „denen da oben“, die viele durch die Parteien repräsentiert sehen, ist in den vergangenen Jahren messbar gewachsen. Wieso ist das so?

Einerseits schwindet das Vertrauen in die Lösungskompetenz von Parlamenten und Regierungen – durchaus nachvollziehbar. Andererseits lassen rechte Hassunternehmer keine Gelegenheit aus, die Demokratie als „Altparteien-Kartell“ zu denunzieren, und alle verächtlich zu machen, die ihrer radikalen Rhetorik nicht folgen mögen. Der Hass auf Vertreter der Grünen, der gerade in Ostdeutschland weit verbreitet ist, artikuliert eine aggressive Variante gesellschaftlicher Regression, die längst in unduldsamen Autoritarismus gekippt ist.

Die jahrelangen Montagsdemonstrationen in ostdeutschen Mittel- und Kleinstädten haben ihren Anteil an einem toxischen politischen Klima, in dem offener Widerspruch gegen gesellschaftlichen Autoritarismus und Regression gefährlich ist. Wenn es aus dem Angriff auf Matthias Ecke und andere Wahlkampfer etwas zu lernen gibt, dann dies: Es muss Schluss sein mit der Verharmlosung jener politischen Akteure, die sich berechtigt sehen, gegen Migranten ebenso gewaltsam vorzugehen wie gegen Windräder, Solaranlagen oder einfach Menschen, die angeblich nicht zum Leben in der Region passen.

Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen. Es steht zu befürchten dass sich Angriffe gegen Vertreter demokratischer Parteien häufen werden. Doch die Rede davon, alles werde immer schlimmer, trägt dazu bei, dass es tatsächlich schlimmer wird. Gebraucht wird nicht Empörung, nicht die nächste Pressemitteilung, in der sich Politiker einander ihrer Solidarität versichern. Gebraucht wird praktische Unterstützung und Solidarität für jene, die vor Ort die Türen und Fenster der demokratischen Gesellschaft offen halten wollen. Wenn Prominente sich in den kommenden Wochen dazu entschließen würden, den Engagierten vor Ort ihre Stimme, ihre Sichtbarkeit zu leihen, dann wäre viel gewonnen.

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