Kämpfen lohnt sich

Fachwissen Nora Markard und Ronen Steinke ermutigen uns in ihrem Buch, die Mittel des Rechts besser zu nutzen. Das Recht allein rettet aber weder den geschundenen Planeten noch die gefährdete Demokratie – weshalb wir uns alle besser auskennen sollten
Ausgabe 18/2024
Diese Anwältin ist vor Gericht nicht alleine
Diese Anwältin ist vor Gericht nicht alleine

Foto: Lefteris Pitarakis / picture alliance / Associated Press

„Wir haben gewonnen!“ So klang der Jubel der Klimaseniorinnen über ihren Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (der Freitag 16/2024). Der urteilte Anfang April, dass die Schweiz nicht genug zum Schutz älterer Frauen tut, weil sie nicht ausreichende Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreift. Ähnliche Klima-Klagen beschäftigen seit einigen Jahren weltweit die Gerichte. „Können wir mit Jura den Planeten retten?“ fragen Nora Markard und Ronen Steinke somit in ihrem Buch Jura not alone. Recht, ermutigen sie uns, kann die Welt besser machen – „wenn man weiß, wie“.

Nora Markard ist Professorin für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz und Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Ronen Steinke ist Jurist, Autor und rechtspolitischer Korrespondent bei der Süddeutschen Zeitung. In dem Buch erzählen die beiden in 12 Kapiteln Geschichten von Menschen, die gegen Ungerechtigkeiten vor Gericht ziehen.

Gerichte als progressive Akteure

Manchmal bedeuten solche Rechtskämpfe, etwa jener für Behindertenrechte in den 1980er und 1990er Jahren, einen „Kampf gegen die Gerichte“. In anderen Fällen wiederum erscheinen die Gerichte als progressive Akteure, zum Beispiel als die Verfassungsbeschwerden von vorwiegend jungen Menschen 2021 im Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts gipfelten. Es erklärte mit Verweis auf die Freiheits- und Grundrechte der jungen Generation das Klimaschutzgesetz von 2019 für verfassungswidrig.

Gerichtsurteile haben nicht selten bahnbrechende politische Implikationen. In der „strategischen Prozessführung“ haben es sich Nichtregierungsorganisationen sogar zur Aufgabe gemacht, solche Grundsatzentscheidungen etwa zum Flüchtlingsrecht oder im Bereich Datenschutz zu erzielen, dazu gehören die Gesellschaft für Freiheitsrechte oder das European Centre for Constitutional and Human Rights. Die Schlussfolgerung der Autoren: Man muss sich im Recht zusammenschließen, um weiterzukommen. Zum Beispiel wie jene queeren Eltern, die gegen Diskriminierungen im Abstammungsrecht klagten. Dann kann man vieles erreichen, wobei die Autor:innen einräumen, dass nicht jed:er die Ressourcen dafür hat. Nicht ohne Grund würden die Vorkämpfer:innen für zum Beispiel Equal Pay oft aus gesicherten finanziellen Verhältnissen heraus klagen. Mit Blick auf die Streiks von migrantischen Kurier:innen beim Lieferdienst Gorillas zeigt das Buch auch die strukturellen Defizite des Arbeitsrechts, das „wilde“ Streiks untersagt und generell Arbeitsniederlegungen bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht nicht vorsieht. Das Landesarbeitsgericht Berlin gab den Chef:innen von Gorillas Recht, die ihre streikenden Mitarbeiter reihenweise gefeuert hatten.

Weitere Begrenztheiten des Rechts nennen Steinke und Markard beim Thema Völkerrecht. Im aktuellen Beispiel „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine als Rechtsfall“ kommt es zwar im März 2022 zu einer Anklage und Verurteilung Russlands vor dem Internationalen Strafgerichtshof, der Krieg aber geht unvermindert weiter. Anhand dieses Falls und anderer Beispiele aus der jüngeren Geschichte wie dem NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien und dem Irak-Krieg 2003 erläutern sie die Problematiken im Völkerrecht und die Machtstrukturen im UN-Sicherheitsrat.

Mit seiner Mischung aus erzählendem Sachbuch und Fachwissen ist das Buch nicht nur erhellend, sondern lässt auch ein Gefühl von Handlungsfähigkeit entstehen: Wenn man weiß wie, steht das Recht einem im Kampf für eine gerechtere Welt überraschend oft zur Seite. Jura not alone, eben. Andererseits machen Markard und Steinke deutlich, dass ein lebendiges und demokratisches Recht keine Selbstverständlichkeit ist. Im Kapitel „Demokratie“ fragen sie: „Wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts?“ Die Institutionen der Republik könnten schneller zersetzt werden als viele von uns ahnen. Gerichte, die als politische „Vetospieler“ autokratischen Regierungen ein Dorn im Auge sind, werden dabei oft als erstes zur Zielscheibe. Die Entwicklungen in Polen, Ungarn, der Türkei, Brasilien oder Israel liefern da ein Skript für einen „weichen Putsch“, der auch hierzulande denkbar wäre. „Das Recht allein rettet die Demokratie nicht“, so die Diagnose. Umso wichtiger ist es für alle, die aktiv daran mitwirken wollen, sich mit rechtlichen Fragen auszukennen.

Warum kein Tempolimit?

Das Buch eignet sich gerade für all jene, die nicht der juristischen Fachwelt angehören. Markard und Steinke achten sorgfältig darauf, rechtliche Begriffe und Eigenheiten zu erläutern. Denn das Recht mag ein scharfes Schwert im Kampf für Gerechtigkeit sein; nur wer ist imstande, es zu nutzen, zumal für eine bessere Welt? Dieses Buch inspiriert dazu, sich das Recht in diesem Sinne anzueignen.

Bleibt die Frage, was erkämpfte Urteile in der Folge bewirken. Der „bahnbrechende“ Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 ist aus heutiger Sicht eher nüchtern zu betrachten. Bekannt ist, dass die Sektoren Verkehr und Gebäude ihre Reduktionsziele verfehlen und der Bau von mehr als ein Dutzend LNG-Terminals auf Jahrzehnte umweltschädliche Gasversorgung festschreibt. Die Verwaltungsgerichte versäumten es, klimaschädliche Projekte wie neue Autobahnen mit Verweis auf den Klimabeschluss zu verhindern. Auch wies das Bundesverfassungsgericht weitere Verfassungsbeschwerden zu seiner konkreten Umsetzung ab, zum Beispiel für ein allgemeines Tempolimit. Das Sich-Zusammenschließen, das Markard und Steinke betonen, muss also unbedingt politische und zivilgesellschaftliche Akteure miteinbeziehen, um Urteilen mit dem Druck von der Straße zur Umsetzung zu verhelfen.

Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern Nora Markard, Ronen Steinke Campus Verlag, 282 S., 25 €

Lore Graf hat zu Rechtskämpfen an der Universität Kassel geforscht

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