Female gaze: Wie Gehirnwäsche selbst den weiblichen Blick männlich trübt

Theatertagebuch Film, Buch, Theater: Frauencharaktere werden sexualisiert und objektifiziert. In einer Welt, in der eine aggressive Bilderflut uns täglich konfrontiert, hat das erhebliche Auswirkungen auf das Selbstbild von Frauen und Mädchen
Ausgabe 49/2023
Andreas Deinert und Frida Österberg in „Miss Golden Dreams“ von Anna Bergmann am Staatstheater Karlsruhe
Andreas Deinert und Frida Österberg in „Miss Golden Dreams“ von Anna Bergmann am Staatstheater Karlsruhe

Foto: Thorsten Wulff

Theatertagebuch

Eva Marburg studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Berlin und New York. Nach Arbeiten als freie Dramaturgin und Autorin am Theater, studierte sie Kulturjournalismus an der UdK in Berlin und ist seit 2018 Fachredakteurin für Theater bei SWR2. Für den Freitag schreibt sie regelmäßig das Theatertagebuch.

Seit einiger Zeit versuche ich, ein Experiment oder eine Art Selbstversuch durchzuführen. Ich habe mir streng vorgenommen, nur noch Kultur von Frauen zu rezipieren: Filme, Kunst, Theaterinszenierungen, Literatur, Musik. Ausgelöst hat diese unausführbare Idee der Dokumentarfilm Brainwashed. Sexismus im Kino, der zurzeit in der Arte-Mediathek zu sehen ist. Darin zeigt die US-amerikanische Regisseurin Laura Mulvey wie in einem Filmseminar auf, dass Frauenbilder in einem „Teufelskreis sexistischer Objektivierungen“ produziert werden. Das Kino ist von Männern für Männer gemacht. Mulvey analysiert in dem Film verschiedene Filmsequenzen, in denen sie die Gender-Sprache des Kinos seziert. Es ist erstaunlich.

Frauenkörper werden zum Beispiel in den meisten Einstellungen nur fragmentiert gezeigt, der Blick der Kamera fährt über die Einzelteile des Körpers, zur Beschau angeboten. Der Mann kommt hingegen immer als Ganzes daher, als tatkräftiges Subjekt, als energiegeladene Einheit. Frauen bestehen nur aus Beinen, Brüsten, Po, Rücken und Gesicht, das oft so ausgeleuchtet wird, dass es flach, schön und ebenmäßig wie eine Leinwand erscheint – eine Projektionsfläche. Achten Sie mal darauf!

Die Hauptthese des Films ist nun, dass wir alle von diesen Bildern – in der dominant-aggressiven Bildkultur, in der nun mal wir leben – regelrecht gehirngewaschen wurden. Auch Frauen können ihr Leben lang kaum andere Bilder oder Versionen von sich selbst entwickeln, weil sie von Anfang an hineinwachsen in dieses Bildsystem, das vorgibt, wie Frauen auszusehen haben, was attraktiv und begehrenswert ist.

Deshalb ist meine Idee, diesem „male gaze“ dadurch zu entkommen, dass ich nur noch weibliche Kunst rezipiere, eigentlich auch falsch. Frauen sitzen der These des Films folgend selbst im Bildergefängnis, sodass sie die visuellen Halluzinationen davon, was Frauen sind – andere kennen sie ja nicht – einfach weiter reproduzieren. Nun sind das alles keine Neuigkeiten, werden Sie sagen, trotzdem wird zu wenig konkret danach geschaut, wie Frauen gezeigt und dargestellt werden. Wer übernimmt das für die Bühnen? Müsste das viel mehr die Kritik leisten (Ja!) oder müsste es „Female gaze“-Beauftragte an den Theatern geben – so wie es mittlerweile ja auch welche für Diversity gibt?

Am vergangenen Wochenende sah ich am Staatstheater Karlsruhe Miss Golden Dreams, eine Inszenierung, wie ich sie mittlerweile als symptomatisch für das Problem betrachte. Regisseurin und Schauspieldirektorin Anna Bergmann, die mit ihrer 100-Prozent-Frauenquote für Regie am Staatstheater vor ein paar Jahren Furore machte, widmet sich darin dem Schicksal von Marilyn Monroe und will zeigen, wie schlimm es der ergangen ist. Dabei werden sämtliche zutiefst sexistischen Klischee-Szenen aufgefahren, die dieser Stoff vermeintlich bietet: der depressive, tablettenabhängige Filmstar; der prügelnde Ehemann; das blutverschmierte Gesicht; der Slip unter dem weißen Kleid; die Blow-Jobs.

Ein offensichtlicher Beleg der These, dass auch Frauen mindestens mit einem Bein im männlich geprägten Bilderabgrund stehen. Schon Joyce Carol Oates, von der das Stück, basierend auf ihrem Roman Blond, stammt, ist nichts Besseres eingefallen, als Marilyn Monroe anhand ihrer jeweiligen Männer zu definieren. Das Leben der Schauspiel-Ikone ist also eigentlich nur das von Arthur Miller, Lee Strasberg oder John F. Kennedy? „Halt!“, könnte da meine Female-gaze-Beauftragte rufen, bevor das alles auf die Bühne kommt. „Das Leben einer Frau hat noch andere Kategorien als die Kerle, von denen sie umgeben war“, würde sie sagen und darauf bestehen, neue und unerzählte Perspektiven auf das Altbekannte zu werfen. Zur Not müssen wir dabei erfinderisch, fantastisch und utopisch werden. Sonst kommen wir nie aus dem Bildgefängnis heraus.

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