„Nach dem Attentat“ von Monica Beletsky: Der lange Schatten des Mords an Lincoln

Was läuft Die True-Crime-History-Serie „Nach dem Attentat“ erzählt eindrücklich, wie die Ermordung Abraham Lincolns zu großen politischen Veränderungen in Amerika führte
Ausgabe 11/2024
Lili Taylor und Hamish Linklater in „Nach dem Attentat", ab 15. März 2024 auf Apple TV+
Lili Taylor und Hamish Linklater in „Nach dem Attentat", ab 15. März 2024 auf Apple TV+

Foto: Apple TV+

Als Abraham Lincolns Verteidigungsminister Edwin Stanton (Tobias Menzies) 1868 von dessen Nachfolger Andrew Johnson (Glenn Morshower) abgesetzt werden sollte, verbarrikadierte er sich wochenlang in seinem Büro, blieb einfach im Amt und sorgte dafür, dass gegen Johnson ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurde. Diese Episode ist der krachende Schlusspunkt der True-Crime-History-Serie Nach dem Attentat über den Mord an Präsident Lincoln. Die Vorlage für die Serie ist das Sachbuch Manhunt (2007) des Historikers James L. Swanson, das ursprünglich mit Harrison Ford als Edwin Stanton verfilmt werden sollte. Stanton spielte eine zentrale Rolle in der Jagd nach Lincolns Mörder John Wilkes Booth. Die Serie geht aber über eine reine Umsetzung des Buches hinaus und fächert ein historisches und politisches Panorama der damaligen Zeit auf.

Im Zentrum steht das Attentat auf Präsident Lincoln (Hamish Linklater), das Booth (Anthony Boyle) am 14. April 1865 im Ford’s Theatre in Washington verübte. Der damals 26-jährige Spross einer bekannten Schauspielerfamilie, der in den Gazetten seiner Zeit gerne als schönster Mann Amerikas abgefeiert wurde, machte aus dem Mord eine regelrechte Performance, von der viele Zuschauer erst glaubten, sie sei Teil der Aufführung. Nachdem Booth Lincoln von hinten in den Kopf geschossen hatte, sprang er von der Loge auf die Bühne, auf der er selbst schon gespielt hatte, brach sich dabei ein Bein und rief „Sic semper tyrannis!“, „So geht es allen Tyrannen“. Mit diesem Satz auf den Lippen soll Brutus Caesar ermordet haben und er ist außerdem das Motto im Wappen des Staates Virginia, dessen Hauptstadt Richmond das Zentrum der Konföderierten Staaten war. Die anschließende Flucht in Richtung Richmond, wo Booth glaubte, als Held gefeiert zu werden, dauerte zwölf Tage.

Handelte Booth allein oder war seine Tat Teil einer größeren Verschwörung? Zeitgleich zum Attentat auf Lincoln wurde auch versucht, den Außenminister William H. Seward zu töten, der die Messerattacke jedoch überlebte. Hatte gar Jefferson Davis, der Präsident der kurz zuvor besiegten Südstaaten, die Attentate befohlen?

So ermittelte Edwin Stanton gegen die noch vorhandenen geheimdienstlichen Strukturen der Südstaaten, aber auch gegen reiche Unternehmer, die Booth unterstützt haben sollen, was bis hin zu einer polizeilichen Razzia auf dem Börsenparkett der Wall Street reichte. Nach dem Attentat ist als Historienserie ungemein gut gemacht und setzt auch die politischen Debatten der damaligen Zeit in Szene. Lincolns Erbe, die Emanzipation der schwarzen Bevölkerung, stand für seinen Nachfolger Johnson nicht an erster Stelle. Der radikale Republikaner Edwin Stanton versuchte Lincolns Plan der „Reconstruction“ weiterzuverfolgen, die neben den Bürgerechten für befreite Sklaven auch die Verteilung von Landparzellen vorsah. Dagegen wandte sich Johnson, der in der Serie deutlich sagt, dass es ihm weniger um die Rechte der Schwarzen als um wirtschaftliche Prosperität ginge. Außerdem drängte der Jurist Stanton auf eine Verfolgung der Führungsriege der Konföderation, was Johnson verhinderte. Die Jagd auf Lincolns Mörder, die Johnson erst den Behörden im Süden überlassen wollte, wird in der Serie dadurch zum regelrechten Politikum.

Eindrücklich erzählt Nach dem Attentat von selbstgefälligen, rassistischen Tätern, die nicht nur in den Südstaaten zu finden sind, berichtet aber auch von vielen anderen Akteuren, die mit dem Mord, den Ermittlungen und dem Prozess gegen die Verschwörer zu tun hatten. In Rückblenden kommt auch immer wieder Lincoln selbst zu Wort, der mit Edwin Stanton diskutierend in seinem Büro sitzt. Dabei hebt die Serie hervor, wie der Mord an Lincoln zu einer politischen Kursänderung führte. Nachfolger Johnson ließ bereits zugeteiltes Land an ehemalige Sklaven wieder enteignen und setzte Amnestien für die Führungsriege der Konföderation durch. Das Washington des 19. Jahrhunderts wird in dieser mitunter aufwühlenden Serie zum Kampfplatz für ein anderes, besseres Amerika, für das Lincoln und Stanton beherzt eintraten, sich mit ihren ambitionierten Zielen gegen die politischen und ökonomischen Interessen ihrer Zeit aber nur bedingt durchsetzen konnten.

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Nach dem Attentat Monica Beletsky ab 15.3.2024, AppleTV+

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