Die Zeitungen waren in den vergangenen zwei Wochen voll mit Features über Leverkusen. Nicht dass man von der Stadt als einem der weltweit wichtigsten Standorte der Chemieindustrie noch nie gehört hätte – doch nun ging es nicht um Wirtschaft, sondern um Menschen aus Leverkusen, um ihre Gefühle, um den Oberbürgermeister, das Rathaus und die Frage, ob es einen Balkon hat. Zum ersten Mal wurden Bilder gedruckt, die nicht das Bayer-Kreuz und Fabrikschlote zeigten, sondern Wohnlandschaften, die sogar etwas von Altbau-Charme hatten. Leverkusen im Porträt – die Kraft des Fußballs. Die Bayer-Mannschaft wird Deutscher Meister, auf einmal wollen alle wissen: Wenn das Team so sexy ist, muss die Stadt, die es repräsentiert, das nicht auch sein?
Erfolg im Sport kann etwas ausrichten. Er zeichnet neue Landkarten jenseits der Deutschland-Grafiken, die uns beim Wetterbericht der Tagesschau gezeigt werden oder die wir im ICE sehen, wenn die Deutsche Bahn mit ihrem Streckennetz prahlt. Sport schafft ein tieferes geografisches Bewusstsein, bildet uns. Nehmen wir nur mal das Eishockey, das wir bisher vor allem im tiefen Bayern verorteten, weswegen Gemeinden wie Füssen, Bad Tölz, Kaufbeuren, Landshut zum Begriff wurden und wir zu der Kenntnis gelangten, dass der Rießersee Garmisch-Partenkirchen zuzuordnen sei.
Ballsport in Gummersbach, Vechta und Herrsching
Jetzt lernen wir: Auch in Bremerhaven gibt es Eishockey, der dortige Club, der sich Fischtown Pinguins nennt, hat das Finale um die Deutsche Meisterschaft erreicht. Man mag zwar gewusst haben, dass Bremerhaven politisch zu Bremen gehört, mehr aber nicht. Nun läuft im heute-journal eine ausführliche Reportage, die uns erklärt, dass Bremerhaven wirklich eine Fischtown ist, aufgrund der Erträge aus dem Fischfang – nicht nur eine kecke Namensspielerei, die sich ein Scherzkeks ausgedacht hatte, als der Verein in die höchste Liga aufstieg.
Viele Städte, bisweilen sogar Ortsteile oder Dörfer, wurden durch den Sport zur Marke. Gummersbach, Großwallstadt, Göppingen, Handewitt, Melsungen – sie danken dem Handball. Crailsheim, Vechta, Weißenfels – der Basketball verleiht ihnen Größe. Der Volleyball richtet es in Bitterfeld-Wolfen, Königs Wusterhausen, Herrsching. In Grenzau und Ochsenhausen wird hochklassiges Tischtennis gespielt, in Schifferstadt gerungen. Könnten wir diese Ortschaften auf der Karte zielsicher fixieren? Wohl nicht – aber wenn wir unterwegs ein Schild mit einem dieser Namen sähen, würde uns feierlich zumute, unser Interesse wäre geweckt.
Wer kannte vor 2008 schon Hoffenheim, Zuzenhausen und den Kraichgau?
Die größte Karriere aus dem Nichts hat sicher Hoffenheim gemacht. Die Dietmar-Hopp-Hood. Als die TSG 1899, die besser TSG 2008 heißen sollte, nach ihrem Aufstieg mal ein paar Monate die Fußball-Bundesliga aufmischte, war der Ortsbesuch mit Interview mit dem Pfarrer in Fachwerkkulisse die journalistische Königsdisziplin. Hoffenheim machte dann auch Sinsheim, wo das Stadion steht, und Zuzenhausen, Sitz des Trainingszentrums, groß. Und die umgebende Region, den Kraichgau.
Sicher steckt der Fußball als Popularitätstreiber alle anderen Sportarten in die Tasche. Auch das sieht man am Beispiel Leverkusen, das auch den Rekordmeister im Basketball stellt und über Jahrzehnte die deutsche Leichtathletik genährt hat – doch erst Platz eins im wichtigsten Sport schiebt die Wolken zur Seite und legt den Blick frei: Was für eine Stadt!
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