Sport und Reisen: Fußballer fliegen auf Privilegien

Kolumne Gefährden Bahnreisen die Leistungsbereitschaft? Sind fernflugverursachte Thrombosen ein zumutbares Risiko? Der deutsche Profifußball hat Probleme auf höchstem Niveau
Ausgabe 39/2023
Abflug: Die deutsche Nationalmannschaft beim Einsteigen in ein Flugzeug
Abflug: Die deutsche Nationalmannschaft beim Einsteigen in ein Flugzeug

Foto: Imago/Schüler

Der Sportreporter

Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

Der neue Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann sieht im Reisen mehr Vor- als Nachteile. Das hat damit zu tun, dass er für seine Mission mit der deutschen Nationalmannschaft Zeit benötigt – die gibt es unterwegs. Man fliegt im Oktober für zwei Länderspiele in die USA, sitzt zwanzig Stunden in Flugzeugen: Bei einem Tomatensaft mit Pfeffer unter Vernachlässigung des Entertainment-Programms an Bord sollte sich genügend Gelegenheit ergeben für Kennenlerngespräche. Unter Hansi Flick, Nagelsmanns entlassenem Vorgänger, würde der Übersee-Trip derweil als Anschlag gelten: auf die körperliche Unversehrtheit des wertvollen Guts Profifußballer, der in eine andere Klimazone verfrachtet wird, ganz sicher einen Jetlag und im dümmsten Fall noch eine Thrombose mitbringen wird.

Der Sport und das Reisen – ein Konfliktthema. Auf der einen Seite ist gerade die Fernreise Ausdruck eines hohen sozialen Status. Wer unterwegs ist, ist wichtig, ist gefragt. Es gilt, wenn man jung ist, den Horizont zu erweitern, und wenn man im Sportgeschäft erst mal Wurzeln geschlagen hat, neue Märkte zu erschließen. Die Kehrseite: Wer viel unterwegs sein muss, nimmt nicht mehr den Reiz wahr, sondern die Belastung. Doch wann beginnt sie? Und wo liegt die Grenze zur Unzumutbarkeit?

Gefährdet das „Leid“ der Reise die sportliche Leistung?

Bei der Fußball-WM voriges Jahr in Katar weigerte sich die Nationalmannschaft, zur internationalen Pflicht-Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel neben Trainer Flick einen Spieler zu entsenden. Man wohnte – als einziges Team – außerhalb, und Flick lehnte es für seine Kicker ab, dass sie „für ein paar Fragen drei Stunden im Auto sitzen müssen“. Da dachte man sofort an Joachim Löw, der seine Elitekicker auf die überschaubare Strecke Stuttgart – Basel mit dem Flieger statt Bus oder Bahn geschickt hatte. Und an den früheren DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Der hatte einmal gesagt, über zwei Stunden in einem Sitz verharren zu müssen, nehme dem hochgetunten Sportlerkörper von seiner Leistungsfähigkeit. Dabei wurde zu Bierhoffs Zeit als Teammanager reichlich gesessen. Er war der Erfinder der Lounges im jeweiligen Hotel, mit Sofalandschaften, Spielekonsolen und Rennsimulatoren – die man nicht im Stehen bedient.

Dieses kann ebenfalls kontraproduktiv sein, etwa das Stehen am Flughafengate vor dem Boarding. Doch zur Rundumversorgung der Profikicker gehört eben auch, dass sie nicht wie der Malle-Tourist zur Hauptsaison drei Stunden vor Abflug am Airport sein müssen, sondern Verein und Verband für sie die Ankunft takten. Geflogen wird in der eigens gecharterten Maschine, oder vorne im Businessbereich. Das Leid, das die Reisebewegungen verschaffen, ist überschaubar.

Zum Vergleich lohnt sich ein Blick in andere deutsche Profiligen. Eishockey etwa, da ist Deutschland Vizeweltmeister - es ist der Sport der Busfahrer. Nur wenige Clubs können es sich leisten, regelmäßig in die Luft zu gehen, manche sind sogar in den Playoffs, der entscheidenden Zeit des Jahres, im doppelstöckigen Bus „on the road“. Da ist es dann – übrigens klimafreundlicher – Alltag, dass Bremerhaven am Freitagabend um 23 Uhr nach seinem Spiel in Straubing in den Bus steigt, jeder Spieler mit einer Warmhaltepackung mit Nudeln in der Hand. Ausstieg daheim am Samstagvormittag. Und am Sonntag ist das nächste Spiel.

Der Fußball beklagt Probleme, die ein großes Privileg sind.

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