Die FDP macht es einfacher, ein Auto bezuschusst zu bekommen, als ein Kind

#IchbinArmutsbetroffen Eigentlich freute sich unsere Autorin mal auf die Kindergrundsicherung – doch was die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, macht sie nur noch wütend. Sieht die FDP Kinder nur als „Sozialklimbim“, den man nicht tanken kann?
Ein Kind produziert nichts für die Wirtschaft. Ein Auto schon
Ein Kind produziert nichts für die Wirtschaft. Ein Auto schon

Foto: Clemens Bilan / picture alliance / EPA

Die Kindergrundsicherung kommt also. Ich war eigentlich vorsichtig optimistisch: Klingt doch gut, eine Grundsicherung für die Maus! Doch je mehr Eckpunkte ich nun erfahre, desto mehr verwandelt sich mein Optimismus in Wut. In Deutschland ist es leichter, ein Auto bezuschusst zu bekommen, als ein Kind. Kinder kann man nicht tanken, und solange diese nicht arbeiten, sind sie Kostenfaktoren. Warum also mehr Geld in Kinder, besonders in Kinder von Armutsbetroffenen, stecken?

2,4 Milliarden gibt die Bundesregierung dafür aus. Mehr Geld sei nicht da, behauptet der Bundesfinanzminister Christian Lindner. So zum Vergleich: Durch die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoffen hat die Bundesregierung einen Steuerausfall von 8,2 Milliarden Euro pro Jahr. Immerhin drei Milliarden Euro fallen ihr durch das Dienstwagenprivileg weg. Auch Geld für Aufrüstung ist wichtiger als Kinder, siehe 100 Milliarden Sondervermögen. Und: Geld für Unternehmen im Rahmen des pro Jahr sieben Milliarden Euro teuren Wachstumschancengesetzes.

Ich weiß nicht, ob es Ignoranz, Klassismus oder einfach nur Realitätsferne ist, die die meisten unserer Regierenden so entscheiden lassen. Kaum jemand dort war jemals armutsbetroffen oder macht sich die Mühe, sich intensiv mit dem Thema Armut in Deutschland zu beschäftigen. Warum auch, es bringt keinen finanziellen Profit.

Kindergrundsicherung und Bürgergeld

Da sind wir wieder 17,3 Millionen Armutsbetroffene, die immer noch nicht wichtig genug sind. Aber: Immerhin gibt es Besserungen. Der Unterhalt wird für Alleinerziehende nicht so stark angerechnet, bis zu 55 Prozent des Unterhalts dürfen sie behalten (aktuell sind es 20 Prozent). Null bis fünfjährige Kinder, deren Eltern Bürgergeld bekommen, erhalten im Monat 8 Euro mehr. Wow! Immerhin ist es mehr als der Bürgergeldtagessatz von 4,54 Euro für Lebensmittel, mit dem ich täglich mein Kind ernähren soll.

Können wir bitte über Privilegien sprechen? Fast alle Regierenden hatten das Privileg, in einer nicht von Armut betroffenen Familie aufzuwachsen. Mit anderen Kindern, die ebenfalls Geld hatten. Armut existiert für sie vom Hörensagen. Es gilt die Devise: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Wie muss es sein, in einem Haushalt aufzuwachsen, in dem Geld kaum eine Rolle spielt, in dem genug Geld für Lebensmittel, Bekleidung und Teilhabe da ist? Wird die eigene Sozialisation von Regierenden kritisch hinterfragt?

Die FDP ist eine reine Klientelpartei für Besserverdienende, unterstützt durch die Auto-Lobby. Sie macht Politik für die Oberschicht, um dieses Wort zu verwenden. Das neoliberal-kapitalistisch geprägte Weltbild hat für Armutsbetroffene nur eines übrig: Verachtung. Das zeigt sich in Wortschöpfungen wie „Gratismentalität“ (Christian Lindner) und wurde nun wieder befeuert von FDP-Bundestagsmitglied Frank Schäffler, der froh ist, dass das mit dem ganzen „Sozialklimbim“ jetzt durch ist.

Und wo bleibt der Respekt eines Olaf Scholz?

Ich frage mich: Wo bleibt die SPD? Wo bleibt das Machtwort von Bundeskanzler Scholz, wenn er wirklich so sozial ist, wie die Wahlplakate mit Slogans wie „Respekt für dich“ „Scholz pack das an“ geworben haben? Wieso ist so ein Respekt-Bundeskanzler nicht in der Lage, bei der Kindergrundsicherung eine größere Summe auszuhandeln? Die SPD legt offensichtlich auch keinen Wert darauf, Politik für 17,3 Millionen Armutsbetroffene zu machen.

Ich war lange SPD Wählerin und habe schon vor Jahren die Hoffnung aufgegeben. Aber ich möchte meinen Respekt vor Lisa Paus von den Grünen ausdrücken, die sich wirklich engagiert. Einige Politikerinnen der Grünen machen jetzt die Sozialpolitik, die ich mir von der SPD gewünscht hätte. Herr Hubertus Heil steht in der SPD allein auf verlorenem Posten.

Ob und wie viel Geld meine Maus durch die Kindergrundsicherung mehr haben wird, ist noch unklar, der Gesetzentwurf wurde noch nicht im Detail vorgestellt. Wir werden sehen, ob die neue Zahlung am Ende das Gleiche ist wie Kindergeld, und wie viel den Bürgergeld- und Grundsicherungsempfängern auf ihren Satz angerechnet wird – spätestens im Januar 2025 sehen wir das auf unseren Konten.

Aber jetzt bleibt erst einmal das ernüchternde Gefühl, wieder nicht richtig beachtet worden zu sein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin für alles dankbar, was mir meine finanzielle Situation erleichtert. Aber dieser Beschluss, der ja einst mit vorsichtiger Hoffnung verbunden war, fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht.

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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