Grundsicherung: In der Holzklasse

Kolumne Warum sind Menschen, die Grundsicherung erhalten, schlechter gestellt als Bürgergeldempfänger*innen? Unsere Autorin ist in der Grundsicherung und ärgert sich sehr über das Messen mit zweierlei Maß
Bürgergeldbezieher dürfen Waschmaschinen als Geschenk behalten, Menschen in der Grundsicherung wird so ein Geschenk vom Regelbetrag abgezogen
Bürgergeldbezieher dürfen Waschmaschinen als Geschenk behalten, Menschen in der Grundsicherung wird so ein Geschenk vom Regelbetrag abgezogen

Foto: Imago / Zoonar

Ich verfolge die Reaktionen und Diskussion rund um das Bürgergeld und den Schwerpunkt auf Arbeitsanreize schon länger – was mich wütend macht, sind die scheinheiligen Antworten bezüglich Menschen mit Erwerbsminderungsbezügen oder erwerbsunfähigen Menschen. Wenn ich einwerfe, dass nicht alle armutsbetroffen Menschen arbeiten können, weil sie krank und/oder behindert sind, bekomme ich als Antwort: „Ja, diese Menschen können ja nichts dafür, dass sie arm sind, und müssten besonders beachtet werden.“ In der Realität sieht es leider anders aus.

Grundsicherungsempfänger sind schlechter gestellt.

Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch bekommen Menschen mit voller dauerhafter Erwerbsminderung, Menschen, die im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich oder im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter beschäftigt sind. Auch Menschen, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen und das Budget für Ausbildung in Anspruch nehmen und Menschen im Rentenalter können Grundsicherung erhalten. Ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort muss Deutschland sein. Genau wie bei dem Beantragen von Bürgergeld findet eine Bedürftigkeitsprüfung statt. Der Antrag wird beim örtlichen Amt für Soziales gestellt. Liegt Bedürftigkeit vor, hat man Anspruch auf Grundsicherung. Der Regelsatz entspricht der Höhe des aktuellen Bürgergeldsatzes.

Im Oktober 2023 fragte die Fraktion der CDU/CSU im Bundestag nach, warum Bürgergeld- und Grundsicherungsempfänger (also die Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung) unterschiedlich behandelt werden.

Die Antwort der Bundesregierung war ernüchternd: Menschen im Grundsicherungsbezug seien meistens Rentner/innen und Personen, die unter drei Stunden täglich arbeitsfähig wären, diese bräuchten kein „Fördern und Fordern“ mehr, weil ihre Verfügbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt nicht vorhanden sei. In der Grundsicherung sei nicht das Ziel, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Damit unterschieden sich die beiden Transferleistungen und sollten dementsprechend getrennt betrachtet werden. Mich hat diese Antwort wütend gemacht. Ist ein Mensch, der arbeitsunfähig ist, weniger wert, als ein Mensch, der mehr arbeiten kann?

Benachteiligungen in der Grundsicherung

Was nicht beachtet wird, ist, dass es durchaus Menschen im Grundsicherungsbezug gibt, die arbeiten. Leider wird ihnen dies noch weniger honoriert als Bürgergeldempfängern. Beim Bürgergeld liegt der Freibetrag aus Erwerbseinkommen bei 100 Euro, während im Grundsicherungsbezug vom ersten Euro an angerechnet wird, das heißt von 100 Euro behält die arbeitende Person nur 33,64 Euro und ist damit benachteiligt. Im Bürgergeldbezug sind Geldgeschenke anrechnungsfrei, während Geldgeschenke im Grundsicherungsbezug auf den Regelsatz angerechnet werden.

Im Bürgergeld darf ein angemessenes Kraftfahrzeug einen Wert von bis 15.000 Euro haben, während in der Grundsicherung dieser Betrag nur bis 10.000 Euro berücksichtigt wird. Auch beim Schonvermögen unterscheiden sich beide Leistungen sehr: Im Bürgergeld darf ich ein Schonvermögen von 15.000 Euro haben, bei der Grundsicherung nur 10.000 Euro.

Hinzu kommt die unterschiedliche Berechnung von selbstgenutztem Eigentum, was anerkannt wird. So wird beim Bürgergeld bis zu 140 Quadratmeter zugestanden, bei der Grundsicherung allerdings nur bis zu 90 Quadratmeter. Richtig skurril wird es beim Zeitraum zur Antragstellung der Heizkostennachzahlung. Bürgergeld empfangende Menschen haben drei Monate Zeit. Und diejenigen, die Grundsicherung erhalten, nur einen Monat. Fragen Sie mich bitte nicht, wie dies begründet wurde.

Unwichtig für die Wirtschaft bedeutet unwichtig für die Politik

Jetzt wird es noch seltsamer: Als Bürgergeldempfänger darf ich eine Waschmaschine oder einen Roller geschenkt bekommen und kann diese Dinge behalten. Im Grundleistungsbezug muss ich diese Geschenke beim Amt für Soziales angeben und der Wert der Geschenke wird mir von meinem Regelgeldsatz abgezogen. Das Gleiche gilt für Gutscheine für Lebensmittel, Bekleidung oder anderes, auch diese sind beim Sozialamt zu melden und können angerechnet werden. Es kommt hier darauf an, wie die zuständige Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter die Interpretationsspielräume, die vom Wohlwollen der dafür zuständigen Person abhängig sind, auslegt.

Aktivistinnen, die, wie ich, Grundsicherung beziehen, und deren Anliegen es ist, diese Ungleichbehandlung sichtbar zu machen, wurden immer wieder von Regierenden vertröstet, man würde sich darum kümmern. Jetzt wissen wir Grundsicherungsbezieher, dass wir einfach zu unwichtig für die Wirtschaft sind und somit unwichtig für die meisten Regierenden.

In Deutschland gab es im Jahr 2022 etwa 1,8 Millionen Erwerbsunfähige, davon sind knapp 700.000 Menschen über 65 Jahre oder älter.

2023 sind etwa eine halbe Million Erwerbsunfähige zwischen 18 und 64 Jahren alt, laut dem Statistischen Bundesamt. Wenn schon über 17 Millionen Armutsbetroffene in Deutschland gern ignoriert werden, dann ist es kein Wunder, dass die fast zwei Millionen Erwerbsunfähigen erst recht keine Rolle spielen. Zumindest haben Sie jetzt von ihnen gelesen. Menschen in der Grundsicherung führen durch ihre diversen Erkrankungen und Einschränkungen ein Schattendasein. Es ist wichtig, als Gesellschaft hinzuschauen, damit diese Menschen nicht vergessen werden. Ein Satz, der Gustav Heinemann zugeschrieben wird, lautet „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“ Daher: Bleiben Sie bitte aufmerksam!

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

Janina Lütt

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