„Neue Grundsicherung“: Liebe CDU, so geht das nicht!

Kolumne Die CDU stellte im März ihre „neue Grundsicherung“ vor und unsere Autorin fragt sich, ob die Partei ein Problem mit dem Grundgesetz hat
Selfie mit Karl-Josef Laumann, dem neuen CDU-Vize
Selfie mit Karl-Josef Laumann, dem neuen CDU-Vize

Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Mitte März haben Sie, liebe CDU, Ihre Ideen für die „neue Grundsicherung“ vorgestellt. Wichtig ist dabei der Zusatz: neu. Es gibt in Deutschland einmal die Grundsicherung für Arbeitssuchende (das Bürgergeld), die Grundsicherung im Alter und die Grundsicherung bei voller Erwerbsminderungsrente, sowie Hilfe zum Lebensunterhalt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihre „neue“ Grundsicherung spezifizieren würden, damit ich als Grundsicherungsempfängerin weiß, welche Personengruppe sie nun ansprechen möchten. Ihre Namenswahl ist aufgrund der vielfältigen Grundsicherungen schlecht gewählt, vielleicht hätte es geholfen, sich vorher mit dem Thema Armut auseinanderzusetzen. Schlecht ist auch, dass Sie den Fokus auf die maximal 18.000 Transferleistungsempfänger legen, die in ihren Augen sogenannte „Totalverweigerer“ sind.

Interessanterweise gibt es Statistiken zu den ausgesprochenen Sanktionen und genügend Zeitungsartikel darüber, warum Menschen sanktioniert werden. Ihnen ist klar, dass durch Studien bewiesen wurde, dass Sanktionen NICHT den Effekt bringen, den sie sich erhoffen. Nein, sie sind eher schädlich, sowohl für das menschliche Miteinander, als auch für das Vertrauen in den Staat und in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Helena Steinhaus, die Gründerin des Vereins Sanktionsfrei, die diese Studie in Auftrag gegeben hat, kann ihnen sicherlich mehr darüber erzählen, wenn Sie mit ihr ein tiefergehendes Gespräch führen würden.

Ich möchte die lieben Regierenden der CDU freundlich darauf hinweisen, dass Sie damals für das Bürgergeld gestimmt haben. Haben sie das schon vergessen?

Aus meiner Sicht ist der große Vorteil beim Bürgergeld, dass die Jobcenter-Mitarbeiter*innen sozialpädagogische Hilfen veranlassen können, wenn die Menschen nicht zu ihren Terminen beim Jobcenter erscheinen. Das heißt, ein Mensch schaut nach einem Menschen, nimmt persönlich Kontakt auf und kann aufgrund seiner beruflichen Expertise zielgerecht helfen. Der oder die Sozialarbeiter*in schätzt die Problematik ein und hilft der Person, die Bürgergeld empfängt. Natürlich gibt es Druck, aber eben einer, der auf menschlicher Ebene ausgeübt wird. Von jemandem, mit dem man reden kann, auf Augenhöhe. So kann rechtzeitig erkannt werden, ob die Leistungen beziehende Person überhaupt vermittelbar ist oder ob psychische Krankheiten, Suchtproblematiken oder sprachliche Hürden vorliegen. Es gibt immer einen Grund, warum Menschen ihren Termin im Jobcenter nicht wahrnehmen. Am allerwenigsten ist der Grund die sogenannte Faulheit.

Entsetzt von den Vorschlägen der CDU

Ein weiterer Punkt: in Deutschland gibt es laut den Zahlen der Deutschen Arbeitsagentur 906.277 Langzeitarbeitslose (Stand: Ende 2023). Diese werden wegen ihrer individuellen Hintergrundgeschichte kaum unseren Fachkräftemangel verändern. Auch die arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger*innen werden den Mangel nicht beseitigen. Schlimm ist, dass dank der unsinnigen Sparmaßnahmen nun wieder die gerade eingeführte Förderung von Bürgergeldempfänger*innen wegfällt. Zum Beispiel, wenn sie einen Schulabschluss nachmachen oder sich beruflich fortbilden wollen. Damit spart man am falschen Ende, denn wir brauchen besser ausgebildete Menschen, wegen unseres Bedarfes an Fachkräften. Oder habe ich das etwa falsch verstanden?

Kommen wir zu einem weiteren Punkt: den Vollsanktionen, die seit Ende März erneut möglich sind. Das Bundesverfassungsgericht hat diese bereits als menschenunwürdig erachtet. Warum wollen Sie diese wieder einführen? Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Methode wieder als menschenunwürdig abgelehnt und hoffentlich verboten wird. Die ganzen Gerichtskosten und den Aufwand hätten sie sich sparen können. Ich finde dieses Verhalten unmöglich. Es scheint, als ob der Artikel 1 des Grundgesetzes ein ernsthaftes Problem für die CDU darstellt.

Ich bin entsetzt über Ihre Vorschläge als Oppositionspartei. Gerade von einer – angeblich – christlichen Partei wünsche ich mir Nächstenliebe. Jesus hat auf Augenhöhe mit den finanziell Schwachen gesprochen und sich um sie gekümmert. Vielleicht wird es Zeit, wieder Bürgernähe aufzubauen. Und zwar nicht zu Ihrer bevorzugten Klientel, sondern den 17,3 Mio. Armutsbetroffenen in Deutschland.

Das wäre bahnbrechend: Eine christliche Partei, die diese Werte lebt!

#Armutsbetroffen

Janina Lütt lebt mit ihrem Kind in Elmshorn. Auf freitag.de schreibt sie eine regelmäßige Kolumne über den Kampf mit und gegen Armut

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

Janina Lütt

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