„Reberger“ statt Riesling: Weine für den Klimawandel

Kolumne Reberger, Villaris oder Sauvignac: So heißen neue, pilzwiderstandsfähigere Rebsorten. Sie sollen Alternativen für Riesling und Co. sein, die den unbeständigen Sommern die Stirn bieten – Resilienz statt Geschmacksprofil. Kann das gut sein?
Ausgabe 11/2024
Extreme Trockenheit und Feuer machen europäischen Winzer:innen zu schaffen
Extreme Trockenheit und Feuer machen europäischen Winzer:innen zu schaffen

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Mit den ersten warmen Tagen kreisen die Gedanken bereits um den Sommer. Wird es heuer wieder richtig heiß oder besonders verregnet? Und wohin kann man eigentlich noch in Urlaub fahren? In Deutschland scheint der Klimawandel bislang wenig Auswirkungen auf den wohlstandsgesättigten Alltag eines Teils der Bevölkerung zu haben. Man überlegt vielleicht, demnächst eine Wassernebelkühlanlage auf der Dachterrasse installieren zu lassen. Oder auch eine Regenwassernutzungsanlage zur Bewirtschaftung des Hochbeets in Permakultur.

Die Entsagung fällt uns nicht sonderlich schwer, wenn das, worauf wir verzichten müssen oder wollen, durch etwas Gleich- oder Höherwertiges ersetzt wird. Das funktioniert auch auf dem Teller so. Keine Avocados und keinen Thunfisch mehr, stattdessen hausgemachte Erbsenguacamole aus dem neuen Thermomix und veganer Tuna auf Basis von Weizenprotein! Das fühlt sich gut an und wir meinen, die Dinge in der Hand zu haben. Agieren statt reagieren.

Das Gefühl haben die Winzerinnen und Winzer schon lange nicht mehr. Während die Konsumenten noch über den steigenden Alkoholgehalt von Wein witzeln, haben niederländische oder selbst britische Weine im Rahmen der Sortenverschiebung nach Norden schon längst das Label der Scherzartikel hinter sich gelassen.

Dabei sind es nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern neben Spätfrösten auch der Starkregen, der zunehmend zu einer Herausforderung wird. „Lang anhaltender Sommerregen begünstigt Pilzbefall und führt vermehrt zu Fehlaromen im Wein“, warnt das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft. Abhilfe schaffen sollen unter anderem sogenannte PiWis – neue, resistentere Trauben. „Ökologisch. Ökonomisch. Zukunftsweisend“, heißt es auf der Internetseite der im schweizerischen Wädenswil ansässigen Internationalen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten.

Die Neuzüchtungen tragen Namen wie Reberger, Villaris oder Sauvignac, also sprachliche Erfindungen, die uns vermutlich irgendwie vertraut vorkommen sollen. „Sehr unterschiedliche Weine mit eigenem Charakter und Aromaprofilen“, heißt es weiter, „hintergründige Säure, gut eingebundene Tannine und Mineralität“.

Klingt doch irgendwie vielversprechend! Aber hier kommt zur prallen Produktpalette unseres Alltags nicht nur etwas dazu, es wird wohl auch etwas verschwinden. Denn in absehbarer Zukunft werden wir an heißen Sommerabenden vielleicht keinen Riesling und keinen Chardonnay mehr trinken, keinen Spätburgunder und keinen Blauen Portugieser. Wir werden mit Sorten vorliebnehmen müssen, die auf Resilienz gezüchtet wurden und bei denen das Geschmacksprofil erst an zweiter Stelle kommt.

Nun muss Neues nicht schlecht sein oder schmecken – und aus ökologischen wie ökonomischen Gründen machen die PiWis Sinn. Gleichzeitig führen sie uns unser Versagen vor Augen, denn der Klimawandel hat viel mit dem Wunsch nach der ständigen Verfügbarkeit von allen Dingen zu tun.

Apropos, für Menschen ohne Zugang zu Vernebelungsanlage, Hochbeet und Thermomix hat der Klimawandel längst schon eine ganz andere Dringlichkeit. Etwa in der Versorgung von Obdachlosen mit ausreichend Trinkwasser. Auch hierzulande.

Der Koch

Johannes J. Arens ist Journalist und Autor. Er studierte Design in Maastricht und Kulturanthropologie in Bonn. In den Küchen interessieren ihn besonders das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation sowie der Zusammenhang von Essen, Politik und Gesellschaft. Er ist Herausgeber des Foodmagazins „Zwischengang“ und Initiator des „Food Reading Festivals Cologne“. Im Freitag schreibt er die monatliche Kolumne „Der Koch

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