Selbstbestimmungsgesetz: Der zweite Schritt vor dem Ersten?

Kolumne Eigentlich sollte die Erleichterung von Änderungen der Namens - und Geschlechtseinträge bereits beschlossen sein. Doch der Beschluss lässt auf sich warten. Vielleicht die Chance, über Schwächen des Vorhabens noch einmal gut nachzudenken
Ausgabe 02/2024
Jugendliche ab 14 Jahre dürfen laut Selbstbestimmungsgesetz ihren Geschlechtseintrag ändern – mit Zustimmung der Eltern
Jugendliche ab 14 Jahre dürfen laut Selbstbestimmungsgesetz ihren Geschlechtseintrag ändern – mit Zustimmung der Eltern

Foto: Imago/Maskot

Marlen Hobrack ist Schriftstellerin, Journalistin, Mutter und Autorin der monatlichen Freitag-Kolumne „Mutti Politics“. Ihr Buch Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet (2022) ist gerade in einer Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen.

Eigentlich sollte es bereits beschlossen sein, doch bisher gibt es nicht einmal einen zweiten Beratungstermin im Bundestag: Das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung lässt auf sich warten. Nun hat die Bundesregierung nach dem Wärmepumpendesaster und den Bauernprotesten vermutlich wenig Lust, ein weiteres heißes Eisen anzurühren. Vor allem, weil es sich erneut um ein Thema handelt, über das ideologisch mobilisiert werden kann.

Was, wenn die Geschlechtlichkeit zum Zankkapfel von Expartnern wird?

Das im November erstberatene Gesetz erlaubt trans- und intergeschlechtlichen sowie non-binären Menschen eine sehr viel unkompliziertere Änderung des Geschlechts- und Namenseintrags – auch Jugendlichen ab 14 mit Einwilligung der Eltern. Unklar ist, was geschieht, wenn die Eltern die Zustimmung verweigern oder sich ein Elternteil dagegen ist. Das Selbstbestimmungsgesetz regelt das nicht; das Bürgerliche Gesetzbuch sieht bei Streitigkeiten im Kontext von Sorge eine familiengerichtliche Entscheidung vor: Im Extremfall kann einem Elternteil das Sorgerecht entzogen werden. Es kann einem mulmig werden bei der Vorstellung, dass die Geschlechtsidentität des Kindes zum Zankapfel verfeindeter Expartner wird.

Das noch gültige Transsexuellengesetz (TSG) sieht vor der Änderung des Geschlechtseintrags eine Gerichtsentscheidung auf Basis zweier Gutachten vor. Diese sollen entscheiden, ob sich „das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.“ Insbesondere für Jugendliche wäre im Rahmen des neuen Gesetzes zu klären, wie sicher und informiert die Entscheidung zu Namens- und Geschlechtseintrag ausfallen werden. Umso wichtiger, dass sie sehr gut beraten sind, vor allem durch Psychologen und Psychiater. Angesichts der schlechten Versorgungssituation auf dem Feld der Psychotherapie – besonders bei Kindern und Jugendlichen – darf man da zweifeln.

Unkompliziert darf nicht unberaten heißen

Es wirkt daher, als unternehme die Bundesregierung den zweiten Schritt vor dem ersten: Das Gesetz suggeriert, dass die „unkomplizierte“ Änderung des Geschlechtseintrags zukünftig dafür Sorge trägt, den Leidensdruck Betroffener rascher zu mindern. Klar ist, dass dieses unkompliziertere Verfahren für Erwachsene, die seit Jahren zuverlässig diagnostiziert sind, eine Erleichterung darstellt. Was aber ist mit jungen Menschen, für die zunächst sorgfältig abgeklärt werden muss, ob sie tatsächlich an Geschlechtsdysphorie leiden? Anders als behauptet, geht es bei dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung natürlich nicht „nur“ um einen Eintrag in einem Dokument; das Geschlecht stellt in unserer Kultur eines der zentralen Merkmale, wenn nicht gar das zentrale Merkmal von Subjektidentität dar. Deshalb leiden Menschen mit Geschlechtsdysphorie ja so stark unter dem falschen Eintrag.

Selbstbestimmung ist ein hübsches Fahnenwort, hinter dem sich alle aufrichtigen Liberalen versammeln können. Doch es wird zur hohlen Phrase, wenn Kapazitäten für Diagnostik und Behandlung fehlen. „Selbstbestimmung“ nach diesem Gesetz könnte ein rasches Trostpflaster sein, das langfristig eher schadet. Etwa weil Depressionen, Zwangsstörungen oder Posttraumatisches Stresssyndrom unbehandelt bleiben, weil der Leidensdruck mit der Namensänderung vermeintlich genommen ist. Selbstbestimmung ja, aber nicht ohne die entscheidenden Ressourcen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

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