Mieser Lohn bei Dauerstress: Darum streikt der Einzelhandel

Kolumne Die Gewerkschaft Verdi nimmt sich Lidl, Kaufland und Co. vor – und will nicht nur höhere Löhne für die Beschäftigen im Einzelhandel. Die Streikbereitschaft in der Branche ist hoch wie nie
Ausgabe 45/2023
Streik im Einzelhandel: Für fairere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen
Streik im Einzelhandel: Für fairere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen

Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Politik von unten

Nina Scholz schreibt in ihrer Kolumne Politik von unten unter anderem über Arbeitskämpfe und die so genannte Gig-Economy

Am Kiosk gibt es zurzeit ein Sonderheft des Manager Magazin zu kaufen, es trägt den Titel „Die 500 reichsten Deutschen“. Unter diesen 500 reichsten Deutschen findet sich gleich auf Platz zwei Dieter Schwarz, der Eigentümer der Schwarz-Gruppe, zu der sowohl Lidl als auch Kaufland gehören. Sein Vermögen schätzt das Manager Magazin auf 39,5 Milliarden Euro. Besonders schlecht scheint es ihm also nicht zu gehen. Im vergangenen Jahr sei sein Vermögen um 3,5 Milliarden Euro gewachsen.

Wer davon nichts spürt, sind seine Beschäftigten. So auch Katja Vaternam, die bei Kaufland, Dieter Schwarz’ Supermarktkette, in Berlin als Einzelhandelskauffrau arbeitet. Sie berichtet von ihrem Frust und dem ihrer Kollegen: „Die Arbeitsbelastung steigt immer mehr. Schichten können kaum noch besetzt werden, weil diesen Job fast niemand mehr machen will.“

Unattraktiv seien vor allem der niedrige Lohn und die befristeten Verträge: „Wir werden nicht gut bezahlt und viele meiner Kollegen haben dann noch Teilzeitverträge. Viele brauchen eine zweite Beschäftigung, um überhaupt über die Runden zu kommen.“ Deswegen beteilige sie sich jetzt am Streik, sagt Katja Vaternam.

Damit ist sie nicht allein: Bereits seit Monaten streiken und protestieren die bei Verdi organisierten Beschäftigten im Handel bundesweit. Die Dienstleistungsgewerkschaft fordert mindestens 2,50 Euro mehr pro Stunde und für den Tarifvertrag eine Laufzeit von zwölf Monaten. Die Arbeitgeber bieten eigenen Angaben zufolge eine Anhebung der Tarifentgelte um mindestens zehn Prozent in zwei Stufen sowie eine Inflationsausgleichsprämie von 750 Euro an. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll 24 Monate betragen.

Der Kampf scheint festgefahren und die Verhandlungen finden als Flickenteppich über die Republik verteilt statt. Einerseits haben sich noch nie so viele Beschäftigte im Handel – einer Branche weitestgehend ohne Sozialpartnerschaft, in der der Organisierungsgrad der überdurchschnittlich weiblichen und migrantischen Beschäftigten niedrig ist – so lange und flächendeckend an einem Arbeitskampf beteiligt. Verdi spricht beispielsweise von 1.500 Menschen, die neu in die Gewerkschaft eingetreten seien. Andererseits bewegt sich einfach nichts. Die Beschäftigten berichten von Einschüchterungen der Arbeitgeber, die ihrerseits das Ganze auszusitzen scheinen.

Das schreckt Katja Vaternam aber nicht ab: „Weihnachten steht vor der Tür – und wir dann auch!“, sagt sie und hofft, dass die Einkaufenden, also wir, die Händler an den bestreikten Tagen solidarisch boykottieren.

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