Hohn, ungefiltert

Diesel In keinem anderem Politikbereich wird das politische Versagen der Großen Koalition so deutlich wie in der Verkehrs-, Umwelt- und Klimapolitik
Dampfplauderei ist unter anderem in Sachen Abgasskandal weit verbreitet
Dampfplauderei ist unter anderem in Sachen Abgasskandal weit verbreitet

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Nach Alexander Dobdrint kann es nicht schlimmer werden, hätte man meinen können. Doch dann kam Andreas Scheuer und wurde Bundesverkehrsminister. Am 2. Oktober stellte CSU-Mann Scheuer nach einer langen Nacht im schwarz-roten Koalitionsausschuss der Öffentlichkeit das „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ vor. Er sprach von einem „Riesenschritt“ und davon „den Dieselbesitzerinnen und -besitzern eine Perspektive“ zu geben. „Das haben wir mit diesem Konzept sehr gut hinbekommen.“

Neben ihm saß Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und sagte, die Große Koalition habe da „wirklich etwas Gutes auf den Weg gebracht“, wirklich, „ein gutes Konzept“ gegen „ein ernstes Problem“, das man nun „beherzt“ angehe.

Eine Woche später ordnete das Verwaltungsgericht Berlin „Fahrverbote für Dieselfahrzeuge auf mindestens elf Straßenabschnitten“ in der Hauptstadt an. Schneller hatte den Koalitions-Kompromiss nur die Autoindustrie entzaubert; jene Auto-Industrie, mit der Scheuer sich doch zuvor noch so intensiv ausgetauscht und von deren Vertretern er so positive Signale vernommen haben wollte. Doch BMW hält nichts von den Diesel-Umrüstungen, die die Koalition vollmundig angekündigt hatte, Opel auch nicht, und Volkswagen will nur, wenn die anderen wollen. Dass die in Aussicht gestellten Umtauschprämien ebenfalls eine Mogelpackung sind, war zuvor schon deutlich geworden.

Allein in Luxemburg

Die Sozialdemokratin Schulze weilte am Tag des Urteils in Luxemburg, beim EU-Umweltministertreffen. Im Namen ihrer Koalition kämpfte sie gegen die Dimension der von einer großen Mehrheit der EU-Staaten angestrebten Verschärfung des CO2-Grenzwertes für Neuwagen, wollte beziehungsweise durfte nur eine Reduktion der erlaubten Emissionen bis 2030 um 30 Prozent mittragen. Am Ende sind es 35 Prozent geworden, immerhin.

Was aber in Erinnerung bleibt, das ist Schulzes Offenbarungseid schon vor der Sitzung. Sie sei ja für härtere Regeln, könne, dürfe, solle aber nicht entsprechend handel, weil: Sie ist ja Teil einer Großen Koalition. Eine Umweltministerin in den Fesseln des Bundeskanzleramtes, des Bundesverkehrsministeriums, der Autoindustrie: Das ist Deutschland im Jahr 2018, wenige Tage nach Veröffentlichung des schockierenden – und zugleich klare Handlungsmöglichkeiten aufzeigenden – Weltklimarat-Berichts zum 1,5-Grad-Ziel. Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi erinnerte in diesen Stunden an die Millionen-Spenden der Automobil-Lobby an CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne.

Christian Schmidt und Glyphosat

Luxemburgs grüner Umweltstaatssekretär Claude Turmes sagte nach der EU-Sitzung über Svenja Schulze: „Ich habe hier eine Umweltministerin gesehen, die sitzt am Tisch, hat aber praktisch nichts zu sagen. Das Kanzleramt telefoniert dagegen mit den Hauptstädten. Das ist eine einmalige Situation. Ich weiß nicht, ob es so etwas schon einmal in dieser Schärfe gab in der deutschen Umweltpolitik.“

Nun ja, das gab es schon, aber eben unter anderen Vorzeichen: 2017 hatte sich der damalige CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt in Brüssel einfach über das Veto seiner für Umwelt zuständigen SPD-Kabinettskollegin Barbara Hendricks hinweggesetzt und dafür gesorgt, dass das Pflanzengift Glyphosat in der EU länger verwendet werden kann.

In kaum einem Politikbereich wird das politische Versagen der Großen Koalition so deutlich wie in der Verkehrs-, Umwelt- und Klimapolitik. Ihre angebliche Lösung für den Diesel-Skandal hat sich innerhalb kürzester Zeit pulverisiert. Ihre Hörigkeit gegenüber der unbeweglichen Autoindustrie ist keinen Deut kleiner geworden. Diese Branche hat in Europa kaum einen besseren Freund, wenn es um die Verteidigung ihrer fossilen Besitzstandswahrung geht. Diesel-Fahrerinnen wie Stadt-Bewohner kann man nicht mit mehr Hohn strafen als es diese Regierung tut.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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