Gebt Gras und Grundeinkommen

Sondierungen Das absehbare Programm von Schwarz-Gelb-Grün wird kaum begeistern. Das könnten die Koalitionäre in spe mit zwei Pilotprojekten zu kompensieren versuchen
Ausgabe 44/2017
Taugt die Cannabis-Legalisierung zur jamaikanischen Beruhigungsdroge
Taugt die Cannabis-Legalisierung zur jamaikanischen Beruhigungsdroge

Foto: Donald Weber/Getty Images

Was könnte also bleiben am Ende schwarz-gelb-grüner Sondierungsgespräche? Mehr Polizisten plus Formelkompromiss und Fachkräfte-Gesetz zur Zuwanderung, wolkige Worte zur Fortsetzung des Scheiterns an den Klimaschutzzielen, Überweisung der Renten-Frage in eine Experten-Kommission und, natürlich: Mehr Geld für Bildung. Das Begeisterungspotenzial solch eines Programms hält sich in Grenzen, was „Jamaikaner“ wissen. Füllen ließe sich diese Leerstelle mit Gras und Grundeinkommen.

Der CDU-Klientel wird so ein kleines Experiment zur Hanf-Abgabe im fernen, eh verlorenen Berlin-Kreuzberg schon zuzumuten sein. Bei den Grünen könnte Balkongärtner Cem Ödzemir mit ein bisschen Cannabis indica seinen paar linken Widersachern den Blick auf den sonstigen Koalitionsvertrag vernebeln – auch, wenn der finale Wortlaut eher dem von Schwarz-Grün-Gelb in Schleswig-Holstein gleichen wird: „Die Möglichkeit zur kontrollierten Freigabe von Cannabis im Rahmen eines Modellprojektes werden wir prüfen.“ Und nicht dem von Rot-Rot-Grün in Berlin: „Die Koalition wird ein Konzept für die Durchführung eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene erarbeiten und sich für dessen gesetzliche Absicherung einsetzen.“ Indessen sollte man die Bedeutung einer liberalen Drogenpolitik für die FDP nicht überschätzen. Allein für die massive Entlastung von Polizei und Gerichten wäre sie aber am Start.

Das Argument „Entbürokratisierung“ hat in Kiel noch die Tür für ein anderes Experiment geöffnet: die Umsetzbarkeit eines Grundeinkommens wollen FDP, Grüne und CDU Experten „diskutieren und bewerten“ lassen, eben auch unter dem Aspekt einer „Entbürokratisierung der Arbeits- und Sozialverwaltung“.

Es würde überraschen, tauchte das Grundeinkommen nicht bald auch auf Bundesebene auf – dient die Idee doch längst als hoffähige Antwort auf Verlust und Prekarisierung von Tätigkeiten, für die es keine Hochqualifizierten braucht, durch die Digitalisierung.

Rot-Rot-Grün in Berlin hat das Modewort nicht im Koalitionsvertrag. Daher exponiert sich nun eilig der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) mit ihm, auch wenn sein Tagesspiegel-Gastbeitrag von ganz anderem handelt. Sein „solidarisches Grundeinkommen“ soll kriegen, wer das erledigt „was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich“ sei, etwa Beseitigung von Sperrmüll, Bepflanzen von Grünstreifen und Babysitting für Alleinerziehende außerhalb der Kita-Öffnungszeiten.

Rot-Rot in Berlin bis 2011 nannte Derartiges „Öffentlichen Beschäftigungssektor“ und schuf sozialversicherungspflichtige Stellen. Später wurde das der SPD zu teuer. Wenn nun das Bepflanzen von Grünstreifen den Staat überfordert und Müller dies Ehrenamtliche für ein paar Kröten „Grundeinkommen“ erledigen lassen will, zeigt das, für wie gegeben ihm ein schwacher Staat heute gilt. Mehr und gut bezahlte Gärtner und Erzieher? Oder eben ein armutsfestes Grundeinkommen für alle? Unmöglich!

Dafür wäre ja nötig, wovon das weite Wort Grundeinkommen so galant abzulenken vermag: Umverteilung im Zeichen der sinkenden Lohn- gegenüber der steigenden Kapitalquote am Volkseinkommen. Dafür gibt es keine Aussicht auf Hegemonie. Nicht in der SPD. Und nicht bei Schwarz-Gelb-Grün, was ein bemerkenswerter Satz der Kieler CDU-Fraktionsvizechefin Katja Rathje-Hoffmann zum Grundeinkommen illustriert: „So viel Geld, wie man zum Leben bräuchte, gibt es nicht zu verteilen.“

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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