Ein Grund zum Feiern?

TTIP Die SPD scheint zu kippen, in den USA herrscht Wahlkampfchaos, und die Ablehnung wächst dies- wie jenseits des Atlantiks immer weiter. Was heißt das für die Bewegung?

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Wohin wendet sich der Protest, wenn TTIP tatsächlich scheitert?
Wohin wendet sich der Protest, wenn TTIP tatsächlich scheitert?

Bild: Carsten Koall/Getty Images

Der Kampf um TTIP und CETA geht in die entscheidende letzte Runde. Noch immer wird in vielen Artikeln von ‘Freihandels- abkommen’ gesprochen. Das ist jedoch irreführend, da der transatlantische Handel schon weitgehend dereguliert und von Zöllen ‘befreit’ ist. Tatsächlich geht es hier wie auch beim transpazifischen TPP zuvorderst um den Schutz ausländischer “Investitionen” (real sind das zumeist Übernahmen bestehender Unternehmen) vor als geschäftsschädigend empfundenen politischen Eingriffen. Anders ausgedrückt: Die ‘Investitions- schutzabkommen’ sollen internationale Investoren vor der (nationalstaatlichen) Demokratie schützen. Dass der Widerstand dagegen immer breiter wird kann angesichts dessen nicht überraschen – genausowenig jedoch die Tatsache, dass auch rückwärtsgewandte Nationalisten sich gegen die Abkommen aussprechen.

Ein Neben- bzw. Bumerangeffekt dessen ist, dass spätestens mit dieser Debatte auch der Begriff ‘Freihandel’ selbst im gesell- schaftlichen Diskurs eine sehr negative Konnotation erhält. Das könnte in Anbetracht der sozialen und ökologischen Verheerungen, die im Namen der (lange widerlegten) Theorie der ‘Komparativen Kostenvorteile’ weltweit angerichtet wurden, durchaus positiv sein.

Protektionismus birgt großes Konfliktpotential

Allerdings besteht in solchen Situationen stets die Gefahr, dass das Pendel zurück- und ins gegenteilige Extrem umschwingt. Der derzeitige Aufstieg von Rechtspopulismus und Nationalismus in den meisten Industrieländern lässt befürchten, dass auf das Ende der grenzenlosen Ausweitung des internationalen Handels durchaus eine Phase von Abschottung und verschärftem Protek- tionismus folgen könnte, ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg. Bereits diese historische Parallele sollte deutlich machen, dass dies höchstwahrscheinlich mit schweren zwischenstaatlichen Konflikten einhergehen würde, möglicherweise bis hin zu größeren Kriegen.

Diese Gefahr scheint die Bewegung gegen TTIP und Co. noch nicht verstanden zu haben. Immer noch kämpft sie unermüdlich ‘gegen Freihandel’ ohne zu bedenken, dass dies auf längere Sicht durchaus Protektionismus und damit letztlich regressivem Nationalismus den Boden bereiten könnte.

Der Nutzen des (regulierten) globalen Handels

Dabei darf nicht vergessen werden, dass ein relativ ungehin- derter globaler Handel durchaus Vorteile für alle Beteiligten bieten kann, wenn (!) er richtig reguliert wird. Der Austausch von Produkten ermöglicht Einsparungen durch Skaleneffekte, was gerade bei komplexer Technologie mit entsprechend hohem Investitionsaufwand sinnvoll und notwendig ist. Die Produktionsverlagerung in Staaten mit niedrigerem Lohnniveau kann für diese eine Entwicklungschance bedeuten, wenn (!) ihnen erlaubt wird, essentielle sowie zu entwickelnde Sektoren zu schützen und zu subventionieren, und wenn (!) sie sich mittels Kapitalverkehrskontrollen vor dem Abfluss von Mitteln sowie spekulativen Attacken auf ihre Währung schützen dürfen.

Ein Redner brachte es dereinst treffend auf den Punkt : “Ein Weltmarkt für Handys ergibt Sinn, ein Weltmarkt für Milch ist Unsinn.”

Leitlinien für künftige Handelsabkommen

Die Herausforderung liegt also darin, die Vorzüge des ‘freien’ globalen Handels zu bewahren, diesen jedoch gleichzeitig so zu regulieren, dass seine inzwischen weithin (selbst vom IWF) erkannten negativen Folgen wenn nicht ganz beseitigt, so doch zumindest drastisch reduziert werden. Im Folgenden werden sechs Leitlinien vorgeschlagen, mit denen dieser Balanceakt gelingen könnte und an denen bestehende und künftige internationale Handels- und Investitionsabkommen gemessen werden sollten.

1. Reduzierung statt Maximierung der Transportmengen
Der ökologische Schaden gerade durch die starke Zunahme des Schiffsverkehrs ist immens. Anstatt hier auf weiteres Wachstum zu setzen, muss das Volumen der Transporte minimiert und auf Güter beschränkt werden, bei denen dies tatsächlich sinnvoll ist, die also nicht – oder nur mit sehr viel größerem Aufwand – vor Ort produziert bzw. gewonnen werden können. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, wäre die Einführung einer globalen Steuer auf Güterverkehr, die den Transport (deutlich) verteuern und in vielen Fällen unrentabel machen würde. Die Erlöse aus dieser Steuer könnten nachhaltige Entwicklung und die Anpassung an den Klimawandel in ärmeren Ländern finanzieren.

2. Spielraum für staatliche Wirtschaftspolitik
Gesellschaft und Politik der einzelnen Staaten müssen die Chance haben, innerhalb eines festzulegenden Rahmens für die eigene wirtschaftliche Entwicklung Akzente zu setzen. Das bein- haltet beispielsweise die (reale, nicht nur formale) Möglichkeit, inländische Mindestbeteiligungen und Technologietransfer vorzuschreiben oder ausgewählte Bereiche stärker abzuschot- ten und zu fördern, um in diesen den Aufbau einer eigenen Produktion zu ermöglichen.

3. Beachtung ökologischer und sozialer Belange
Der Schutz von Umwelt und Klima sowie der sozialen Grund- bedürfnisse muss bei Handels- und Investitionsfragen stets berücksichtigt werden und im Zweifelsfall Vorrang vor ökonomischen Interessen haben. Insbesondere müssen essentielle Bereiche wie Landwirtschaft und soziale Infrastruktur vollständig aus internationalen Abkommen herausgenommen werden.

4. Investitionsgerichte unter dem Dach der UN
Nationale Gerichte sind zwar demokratisch legitimiert, doch bestehen begründete Zweifel an ihrer Neutralität im Falle rechtlicher Streitigkeiten mit ausländischen Investoren. Um dem zu begegnen, ohne dabei eine undemokratische private Paralleljustiz (ISDS) zu schaffen, wäre eine internationale Investitionsgerichtsbarkeit im Rahmen der Vereinten Nationen, die sowohl Staaten als auch Unternehmen anrufen können, der richtige Weg.

5. Öffentliche Debatte über Handelsfragen
Da globaler Handel und zunehmende wirtschaftliche Vernetzung alle Menschen betreffen, sollte über die damit zusammenhän- genden Fragen auch offen gesellschaftlich diskutiert werden. Handels- und Investitionsabkommen mögen abstrakt und trocken sein, doch ist es Aufgabe von Politik und Medien, die demokratische Debatte darüber mitzutragen und zu erleichtern.

6. Ein gerechteres globales Währungssystem
Gegenwärtig existiert ein Zwei-Klassen-System. Nur die Staaten des Globalen Nordens verfügen über unbegrenzten Zugang zu ‘Weltgeld’, in dem internationale Kredite, Investitionen und Handel abgewickelt werden. Der Rest der Welt muss sich dieses Geld erarbeiten oder Fremdwährungskredite aufnehmen, die bei Wechselkursschwankungen extrem destabilisierend wirken. Um diesen Zustand zu beenden, wäre die Verallgemeinerung des ‘managed float’-Prinzips denkbar, was notwendigerweise einen leichteren Zugang zu IWF-Krediten oder eine Ausweitung von Währungsswap-Abkommen voraussetzen würde.

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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