Neuer Verkehr für unsere Städte!

Mobilitäts-Wende Abgasskandal, Klimaschutz, autonomes Fahren, e-Autos und -Bikes – die Welt der Mobilität befindet sich im totalen Umbruch. Wie werden wir uns im Jahr 2040 fortbewegen?

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Auf der Überholspur
Auf der Überholspur

Bild: Spencer Platt/Getty Images

Was wir derzeit erleben, ist der Beginn der größten Verkehrswende der letzten 100 Jahre. Seit der Nachkriegszeit wurde der private PKW bei uns immer mehr zum Standard der Fortbewegung. Doch nun erleben wir, wie seine Zeit unerbittlich dem Ende entgegengeht. Die Globalisierung der Wirtschaft bedeutet auch eine Globalisierung von Ansprüchen und Lebensstilen. Für mehrere Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor fehlen der Erde schlicht die Ressourcen. Die theoretisch notwendigen Einsparungen sind technisch nicht erreichbar, wie uns am Beispiel VW überdeutlich vor Augen geführt wurde. Und immer mehr junge Menschen in der Großstadt empfinden den Besitz eines eigenen Autos als nicht nur unnötig, sondern einfach nur lästig. Ihre Statussymbole sind moderne Smartphones, eine gute Onlinepräsenz, stylische Accessoires und der Besuch angesagter ‘Events’.

Der Politikwissenschaftler Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat vor Kurzem gemeinsam mit Andreas Knie das Buch "Die digitale Mobilitätsrevolution. Vom Ende des Verkehrs wie wir ihn kannten" im Oekom-Verlag veröffentlicht. Auf der Debattenseite des Berliner ‘Tagesspiegel’ stellt er einige seiner Thesen dar. Er geht davon aus, dass sich das autonome Elektroauto durchsetzen wird – allerdings nicht als Privatfahrzeug, sondern als für alle verfügbares Fortbewegungsmittel, das sich nach Benutzung die oder den nächste(n) Fahrgast(e) sucht. Wie ein Taxi ohne FahrerIn, oder ein omnipräsentes, einfach zu benutzendes Carsharing.

Die Zukunft des Automobils ist elektrisch, selbstfahrend und für alle nutzbar

Damit würden nicht nur viel weniger Ressourcen benötigt, sondern auch weniger städtischer Raum sinnlos vollgeparkt. Es gäbe damit viel mehr Platz für neue Wohnhäuser, Grünflächen oder Radwege in der Stadt. Möglich ist das nur, weil sich neue Unternehmen aus dem IT-Bereich des Themas annehmen. Diese sind weniger am Verkauf möglichst vieler Autos interessiert als an der optimalen Vernetzung (und Vermarktung, klar) von Daten. Nebeneffekte sind z.B. die Verringerung von Lärm und Luftverschmutzung, eine bessere Verkehrsplanung oder der mögliche Ausgleich von Schwankungen in der Stromerzeugung. Die Auswirkungen dessen auf unser aller Leben sind heute noch kaum absehbar, aber äußerst vielgestaltig. Wenn sich die traditionellen Autobauer dieser Entwicklung nicht anpassen, werden sie mittelfristig vom Markt verschwinden. Das Beispiel der Stromkonzerne, die die Energiewende jahrzehntelang verschlafen haben und heute vor der Pleite stehen, möge ihnen als Mahnung dienen.

Die Zukunft ist weder vorherbestimmt noch uniform, doch was Weert Canzler beschreibt, ist ein sehr plausibles (Teil-)Szenario. Zu einer vollständigen Vorstellung davon, wie der Verkehr in 20 oder 30 Jahren aussehen wird, gehört zweifellos auch eine deutliche Ausweitung des Angebots an Bus-, Straßenbahn- und S-Bahn-Verbindungen sowie weitaus mehr Fahrrad- und Elektrorad-Verkehr als heute. Die jeweiligen Anteile am ‘modal split’ werden dabei in der Großstadt andere sein als in der Kleinstadt oder im Dorf, von daher ist die Diskussion über genaue Prozentanteile ziemlich müßig. Im ländlichen Raum ist das Leben heute ohne Privat-PKW(s) gerade für Familien kaum möglich. Dort wird es sicher auch zukünftig mehr Autos geben als in der Stadt. Entscheidend wird jedoch überall die optimale Vernetzung sein, vor allem zwischen Fahrrad und Schiene: Wenn ich weiß, dass an der Haltestelle ein Rad auf mich wartet, erweitert sich deren Einzugsbereich ganz erheblich.

Diskussion. Pilotprojekte zum Anfassen. Planung. Umsetzung.

Die heutige Herausforderung für BürgerInnen und Kommunalpolitik ist es, im Wissen um diese Zukunft die Weichen zu stellen, die den Übergang leichter und günstiger machen. Und schneller, denn wer sich früh auf neue Entwicklungen einstellt, ist auf längere Sicht der Gewinner. Gleichzeitig ist ein solcher Wandel selbstverständlich ein gradueller Prozess über Jahrzehnte, was bedeutet, dass die jetzt angegangenen ersten Schritte auch für sich allein schon einen Fortschritt darstellen müssen – und nicht erst im Paket, wenn alles ‘fertig’ ist. Die möglichen Ansatzpunkte bei dieser umfassenden Erneuerung sind Legion, von der kleinsten Mikro- bis zur größten Makro-Ebene. Wo sollten wir also anfangen?

Ein zentrales Element ist die öffentliche Diskussion über das Thema. ‘Bürgerabende’ und Zeitungsartikel sind schön und gut, aber was (die meisten) Menschen wirklich anregt, sich persönlich, auch emotional mit solchen Fragen zu beschäftigen und mit Freunden darüber zu reden, sind Dinge die sie sehen, anfassen und ausprobieren können. Warum also nicht Pilotprojekte anstoßen, solange das Thema noch neu und aufregend ist (und es dafür Fördergelder von EU oder Bundesregierung gibt)? Warum nicht Elektroautos für das Rathaus und städtische Betriebe anschaffen und ankündigen, diese so schnell wie es eben geht durch ‘Selbstfahrer’ ersetzen zu wollen? Warum nicht diese oder auch herbeigeholte Experimentalfahrzeuge am Wochenende in der Innenstadt aufstellen und ‘Schnupperfahrten’ anbieten, verbunden mit einem Informationsangebot? Und warum nicht die Stadtplanung aus den Verwaltungsstuben auf den Marktplatz holen, etwa in Form eines begehbaren (Teil-)Modells der Stadt?

Daneben braucht es selbstverständlich auch eine politische und verwaltungstechnische Langzeitplanung mit der Möglichkeit der schrittweisen Umsetzung. Da kaum etwas derart das Alltagsleben der Menschen beeinflusst und außerdem gerade das Auto und seine Nutzung extrem emotional besetzt sind, ist hier eine frühzeitige und breitestmögliche Bürgerbeteiligung sowie umfassende Transparenz dringend geboten. Und: Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass ihre Anregungen und Wünsche nicht nur abgeheftet werden, sondern tatsächlich den Weg in die städtische Planung finden. Insofern sollte klar sein, dass auch die unten aufgeführten konkreten Vorschläge des Autors lediglich einen Input und Diskussionsanstoß darstellen, keineswegs aber einen ‘Masterplan’.

Mobilität ist ein Grundrecht und muss allen Menschen offenstehen

Abschließend sei noch eine grundlegendere, fast philosophische Frage aufgeworfen. Die Möglichkeit, sich innerhalb der eigenen Stadt und ihrer Umgebung fortzubewegen, ist nicht nur für die Berufsausübung, sondern auch für die gesellschaftliche Teilhabe und mithin ein würdevolles Leben unabdingbar. Damit ist ‘Mobilität’ nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis, sondern auch ein Grundrecht, das allen Menschen per Verfassung zusteht. Die Realität sieht jedoch auch in einem so reichen Land wie unserem für viele Menschen anders aus. Eine Möglichkeit, dies zu ändern, ist die Einführung des fahrscheinlosen oder ‘flatrate-’Nahverkehrs, bei dem Busse und Bahnen aus dem Steueraufkommen und/ oder einer Abgabe finanziert werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Fahrgäste haben es deutlich bequemer, was die Attraktivität des ÖPNV erhöht, während die Verkehrsbetriebe die gesamte Infrastruktur für Fahrscheinverkauf und -kontrollen einsparen können. Wer regelmäßig erlebt, wie zehn Leute hintereinander einsteigen und beim Busfahrer eine Karte kaufen, dürfte eine Vorstellung von der so möglichen Zeitersparnis haben.

All diese Fragen betreffen selbstverständlich nicht nur uns hier, sondern alle Städte dieser Welt. Von daher werden nicht nur überall ähnliche Debatten geführt, es gibt auch bereits eine Überfülle von Vorbildern, Erfahrungen und Experimenten, von denen sich lernen lässt. Wir müssen nicht das Rad neu erfinden, sondern nur konsequent ‘best practice’-Vorbilder finden und auf unsere jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Warum also nicht mal über den eigenen Tellerrand schauen und auf städtischen Studienfahrten lernen, wie Holland zum Radfahrland wurde, oder wie Busse in manchen französischen Städten ohne Fahrscheine funktionieren? Das Auto mag bisher der Deutschen ‘liebstes Kind’ sein, doch die Geschichte bleibt niemals stehen, und “wer zu spät kommt, den bestraft das Leben”. Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell, und es ist Zeit, dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft von A nach B kommen wollen!

Anhang: Vorschläge zum Umbau des Verkehrs

1. Die langfristigste, teuerste und damit grundlegendste Festlegung betrifft den Schienenverkehr. Hier diktieren geographische Gegebenheiten und Stadtstruktur die (oft begrenzten) Möglichkeiten, doch darf nicht vergessen werden, dass neue Linien auch außenliegende Stadtteile attraktiver machen und wachsen lassen. Und in Zeiten von Nullzinsen kann auch Geldmangel kein Argument mehr sein. In Absprache mit den BürgerInnen müssen:

- Takte bestehender Linien verdichtet werden
- Linien in die Vororte verlängert werden (besonders für PendlerInnen)
- endlich wieder neue Strecken geplant und gebaut werden
- das Tarifsystem vereinfacht oder, noch besser, abgeschafft werden
- die Sicherheit erhöht werden durch abendliche Präsenz von Personal

2. Eine kontinuierliche Aufgabe bleibt die Förderung der Fahrradnutzung. Das geschieht bereits, muss jedoch deutlich ausgeweitet werden. In Deutschland gibt es viele 'Mittelstädte', die von ihrer Größe her optimal fürs Radfahren sind, und dank e-Bikes sind Steigungen heute auch kein Hinderungsgrund mehr. Doch gute, schnelle Radwege sind vielerorts ebenso Mangelware wie ‘richtige’ Stellplätze. Nötig wäre(n):

- mit gutem Beispiel vorangehen: Radfahr-Anreize für städtische Beschäftigte
- konsequent Vorfahrt für RadfahrerInnen, sei es rechtlich, bautechnisch oder an Ampeln
- stabile, große Fahrradständer an zentralen Orten, vor Schulen, Unternehmen, Behörden...
- gut ausgeschilderte “Fahrradstraßen”, wo möglich eigene Rad(schnell)wege
- Verbreiterung der Radwege entlang der Hauptstraßen
- weniger Parkplätze am Straßenrand, die für RadfahrerInnen eine große Gefahrenquelle sind
- autofreie Sonntage mit Volksfestcharakter (Floh- und Tauschmarkt, Picknick, Straßenmusik...)
- öffentliche Leihräder und -elektroräder nach französischem Vorbild

3. Verbesserung des Busverkehrs. Hier gilt grundsätzlich Ähnliches wie beim Schienenverkehr, allerdings kann naturgemäß deutlich einfacher verändert, korrigiert und auch mal experimentiert werden.

- Auf dem Land (wo Busse ohnehin weitgehend steuerfinanziert sind) kann die fahrscheinlose Nutzung die Attraktivität gerade für GelegenheitsnutzerInnen deutlich erhöhen.
- Die umfassende Einbindung der BürgerInnen in die Planung kann die Akzeptanz ebenfalls stärken: Sie sehen die Linie(n) dann viel stärker als ‘ihren’ Bus.
- Umfassende Informationen, z.B. Liniennetzpläne, sollten eigentlich selbstverständlich sein - sind es aber nicht.

4. Die Reduzierung des Autoverkehrs und die Förderung des Umstiegs auf elektrischen Antrieb. Das beste Mittel dazu ist die weitere Verbesserung des Bus- und Bahn-Angebots sowie der Bedingungen für RadfahrerInnen, doch darüber hinaus muss die Nutzung von privaten PKWs unattraktiv gemacht werden (ohne sie zum Vorrecht für Reiche zu machen!), etwa durch:

- Verknappung von Parkraum
- weniger Durchgangsstraßen, Tempo 30 innerstädtisch, mehr Einbahnstraßen
- wo möglich Busspuren oder sonstwie Vorrang für Busse
- die Ansiedlung von Carsharing-Unternehmen (oder die Gründung eines eigenen, städtischen) mit günstig gelegenen Abholflächen (inkl. Ladestation) und Kurzparker-Vorrechten
- die Förderung der Einrichtung von Ladestationen, etwa an Tankstellen und Supermärkten
- einen (und sei es kleinen) Bonus für Haushalte ohne PKW

5. Ein eigenes Thema ist der Güterverkehr. An dieser Stelle sei dazu nur angemerkt, dass es neben der Förderung der Schiene durch intelligente Zubringersysteme vor allem darum gehen muss, das Transportvolumen drastisch zu reduzieren, etwa durch die Förderung dezentraler, kleinteiliger, regionalisierter Wirtschaftskreisläufe oder die Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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