Wahlwiederholung in Berlin: Wie man die Leute noch an die Urne lockt

Kolumne Nichts ist so demotivierend wie die Parteienwerbung zur zweiten Auflage der hauptstädtischen Bundestags-Abstimmung. Doch unsere Kolumnistin weiß, wie man da Feuer reinbringt
Ausgabe 04/2024
Es grüßt das Murmeltier: Nach bereits einer Wiederholung steht für manche Berliner:innen eine wiederholte Wiederholung an
Es grüßt das Murmeltier: Nach bereits einer Wiederholung steht für manche Berliner:innen eine wiederholte Wiederholung an

Foto: picture alliance/dpa Christophe Gateau

Susanne Berkenheger war früher Netzliteratin (Zeit für die Bombe) und Satirikerin (SPAM bei Spiegel online). Für den Freitag schreibt sie sehr gerne ihre Kolumne „Die Ratgeberin

Liebe Berliner Wiederholungswahlkämpfende! Als eine von etwa zwölf Leuten, die nie eine Wahl verpassen, auch die skurrilste Teil-Wiederholungswahl nicht, muss ich mich hier mal melden. Eure Plakate stürzen mich in Verwirrung.

Meine Straße hängt voll mit „Neuanfang wählen!“ (SPD). Neuanfang? Vielleicht sind ja sonst alle geblitzdingst worden, aber ich weiß noch genau, dass ich die Neuanfangs-Originalwahl schon hinter mir habe – mit einem damals frisch operierten, hoch motivierten Erstwähler an der Seite. Mühsam krückte er sich den Gehsteig entlang, wo eine der berühmten Zwei-Stunden-Schlangen wartete. Freundliche Wahlhelfer winkten uns vorbei, auch mich, obwohl ja gar nicht lädiert. Wie Staatsgäste wurden wir behandelt, es war fantastisch und ein bisschen beschämend – gegenüber den Nachbarn in der Schlange. Scherzkekse wollten sich die Krücken leihen. Wir lachten verlegen.

Dennoch war die Wahl für mich erstklassig gelaufen. Der Erstwähler dagegen reagierte jetzt muffig, als rauskam, dass er sich umsonst dahin gequält hat. Nochmal wählen? Er ist im Ausland und winkt ab, wie eigentlich alle, die ich kenne. „Wozu das denn?“, fragen sie entgeistert. Eure Wahlwerbung, liebe Parteien, gibt dazu wahrlich wenig Hinweise: „Bist du für Frieden in der Welt?“ (Linke) oder „in Pankow zeigen, dass die Ampel-Parteien abgewählt werden müssen“ (CDU). Ja klar, weil wir in Pankow bundesweit so repräsentativ sind? Auch die Videokampagne der Landeswahlleitung „Berlin braucht deine Stimme“ verheimlicht leider, wozu.

Nicht-Berliner in den Startlöchern!

Dabei war diese Frage nie leichter zu beantworten! Wir müssen nur ein bisschen umdenken. Ein Blick auf wahlrecht.de zeigt: Gegner sind dieses Mal nicht die üblichen politischen Gegner, nein, dieses Mal kämpfen Berliner gegen Nordrhein-Westfalen (genauer gesagt drei Stück), eine Niedersächsin, einen Sachsen und eine Hessin. Diese sechs Nicht-Berliner stehen in den Startlöchern, um unsere einst gewählten Berliner aus dem Bundestag zu verdrängen. Wenn so wenig wählen gehen, wie es jetzt vorhaben, ist das nicht mehr abzuwenden.

Das wären mal Kipppunkte, denn welcher Berliner kann das wollen? Der erste Wahlverweigerer kippt bei dieser, meiner Nachricht, sofort um: „NRW sagst du? Na, dann wähl ich vielleicht doch!“ Das zieht, liebe Parteien, deshalb rüstet eure Plakate nach: „Gegen die Verdrängung der Berliner aus dem Bundestag!“ Malt den Skandal ruhig aus: Irgendwelche Nordrhein-Westfalen, die nichts, aber auch nichts jetzt tun, nur faul auf dem Sofa sitzen – das kann auch mal auf ein Plakat, wie die da sitzen und sich die Hände reiben. Diese Sofa-Kandidaten sollen statt unserer Berliner Kandidaten, die jetzt bei klirrender Kälte für ein paar Hansel Wahlkampf machen, plötzlich Bundestagsabgeordnete werden? Ist das demokratisch, gerecht, fair? Auf alle Plakate gehört der Spruch: Jede Stimme zählt! – „oder wollen Sie lieber einen Vertreter aus Nordrhein-Westfalen, naaaa?“

Das stimmt zwar nicht bei wiklich jedem so ganz. Aber derzeit stimmt ja auch schon Vieles nicht: Stefan Gelbhaar (Grüne) etwa wirbt mit dem etwas rätselhaften Slogan „wieder in den Bundestag.“ Wegen seines Listenplatzes ist das eh gebongt, aber hey, jede Stimme zählt! Da muss man es wohl nicht so genau nehmen: Also Berliner, stoppt die Nordrhein-Westfalen-Übernahme! Da wankt selbst der ferne Erstwähler in seiner pampigen Abstinenz.

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