Steigende Temperaturen: Saubere Luft ist leider schlecht fürs Klima

Meinung Die Luft ist sauberer geworden: Gut! Es ist ein Zeichen, dass Änderungen zum Beispiel bei Grenzwerten in der Schifffahrt endlich umgesetzt werden. Nur hat die Medaille zwei Seiten: Denn Luftverschmutzung hat auch einen kühlenden Effekt
Ausgabe 30/2023
Trauriger Rekord: An Floridas Küste erreichte die Wassertemperatur in diesem Jahr 36 Grad
Trauriger Rekord: An Floridas Küste erreichte die Wassertemperatur in diesem Jahr 36 Grad

Foto: Joe Raedle/Getty Images

Es ist heiß. Das vergisst man aus deutscher Perspektive schnell mal. Da, wo die Sonne erbarmungslos sengt, kann nicht einmal der Sprung ins Meer Erlösung bringen, denn auch den Meeren ist heiß. Um genau zu sein: so heiß wie nie zuvor seit Datenaufzeichnung. Vor der Küste des US-Bundestaats Floridas etwa wurden Spitzentemperaturen von 36 Grad gemessen – im Wasser! Das ist die Temperatur, die zum Baden von Babys empfohlen wird. Die Universität Maine zeigt die Wasserhitzerekorde mit ihrem Projekt Climate Reanalyzer sehr anschaulich: Dort ist die tägliche Oberflächentemperatur der Meere über die vergangenen dreißig Jahre zu sehen, der Graph für dieses Jahr droht aus dem Koordinatensystem zu wachsen.

Der Nordatlantik ist so warm wie ein Schwimmbecken

Apropos aus dem Koordinatensystem wachsen: Eliot Jacobson, Mathematiker, Informatiker und bekennender Doomer – er betreibt den Blog „Watching the World Go Bye“ (Der Welt beim Sterben zusehen) –, musste angesichts der Hitzerekorde im Nordatlantik kürzlich die Y-Achse seines Koordinatensystems erweitern, die Wassertemperaturen erreichten dort knapp 25 Grad. Das ist die Wassertemperatur in olympischen Schwimmbecken.

Die Gründe dafür sind vielschichtig: die so richtig durchstartende globale Erwärmung (hier in Deutschland kann ich das schreiben, ohne um mein Leben zu fürchten; ein Wettermoderator im konservativen US-Bundesstaat Iowa erhielt wegen solcher Aussagen aber Morddrohungen und kündigte deswegen seinen Job), das nun einsetzende Wetterphänomen El Niño – aber auch bessere Luft. Zum einen haben ungewöhnlich schwache Passatwinde in den letzten Monaten weniger Saharasand über den Nordatlantik geweht, und zum anderen ist die Luft ganz einfach saubererer geworden. Zuletzt durch neue Grenzwerte in der Schifffahrt: Seit Anfang 2020 dürfen Schiffe nur noch mit schwefelarmem Treibstoff fahren.

Das ist eigentlich gut, denn Schwefeloxide sind schlecht für Böden, Gewässer, Tiere und uns Menschen. Nur fürs Klima waren sie eigentlich ganz gut. Genau wie der Saharasand reflektierten die Partikel in der Atmosphäre das Sonnenlicht. Wenn weniger von ihnen in der Luft hängen, trifft mehr Sonnenlicht auf die Erde – alle, die das Konzept von Licht und Schatten kennen, werden verstehen: Dann wird es wärmer.

Luftverschmutzung schirmt die Sonne ab

Dass Luftverschmutzung einen kühlenden Effekt auf die Erde hat, ist der Wissenschaft nicht neu. Schon 2016 titelte etwa eine im Fachmagazin Nature Geoscience veröffentlichte Studie „Verstärkung der Erwärmung der Arktis durch frühere Verringerung der Luftverschmutzung in Europa“. Die Forschenden erklärten darin einen erheblichen Teil der Erwärmung der Arktis mit der Verringerung der Sulfat-Aerosole in Europa seit 1980. Eine andere Forschendengruppe fand im selben Jahr heraus, dass die Aerosolbelastung in der Atmosphäre rund ein Drittel der kontinentalen Erwärmung abschirmte.

Auch das Verbrennen von Öl und Kohle verschmutzt die Luft; hörten wir damit auf, wäre das folglich nicht nur gut fürs Klima. „Trotz der Vorteile für die menschliche Gesundheit könnte die Verringerung der Schwefelemissionen in einer nachhaltigeren Welt die Erwärmung der Arktis im Jahr 2050 um 0,8 °C im Vergleich zum Zeitraum 1995 – 2014 verstärken und damit die Klimavorteile der Treibhausgasreduzierung zunichtemachen“, schrieben Forschende in einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie im Fachmagazin Communications Earth & Environment. Der Zusammenhang von Luftqualität und Klima müsse dringend stärker erforscht werden.

Und was machen wir jetzt daraus? Wegen der Luftverschmutzung sterben jährlich rund 6,7 Millionen Menschen, die Klimaerwärmung hat das Potenzial, die Menschheit auszulöschen. Die Welt ist kompliziert – es tut mir leid.

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