Studie zur Macht von Frauentränen: Heul doch!

Super Safe Space Lassen Frauen ihren Tränen freien Lauf, sind Männer weniger aggressiv, fand kürzlich eine wissenschaftliche Studie heraus. Unsere Kolumnistin ist sich sicher: Tränen sind keine Superkraft
Achtung, diese Träne könnte ihr Testosteron-Level senken
Achtung, diese Träne könnte ihr Testosteron-Level senken

Foto: Imago/Pond5 Images

Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine wissenschaftliche Studie zu Geschlechterthemen interpretiert, kommt dabei heraus, dass ich Superkräfte habe. Und mit mir alle Frauen. Die besprochene Studie hat herausgefunden, dass Frauen-Tränen einen chemischen Marker enthalten, der Testosteron (und damit Aggressionen) bei Männern mindern kann, wenn sie die Tränen riechen.

In der FAZ wird daraus ein Aufruf, mithilfe von Tränen die Weltherrschaft an sich zu reißen: Heulen gegen den Gender Pay Gap. Weinen – statt Kleben – fürs Klima. Das Patriarchat ist nur ein Witz. Und Mädels, wenn wir endlich mal kreativ an die Aufgabe rangehen, dann gehört uns bald die Welt.

Als ziemlich nah am Wasser gebaute Frau sollte ich damit eigentlich längst CEO eines international agierenden Konglomerats sein oder zumindest Bundeskanzlerin. Von beidem bin ich sehr weit entfernt. Denn, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, Frauen haben nichts davon, dass sie weinen. Und bevor hier irgendwelche Männer jammern, dass sie eigentlich diejenigen sind, deren Tränen verhöhnt werden: Klappe, es geht gerade mal nicht um euch.

Heulen vor Wut

Ich weine nämlich nicht nur, wenn ich etwas besonders traurig finde oder einen schönen Film sehe, sondern leider auch, wenn ich wütend werde. Irgendwann passiert es während eines Streits immer, dass ich vor Wut anfange zu weinen, womit sich der Streitpunkt erledigt hat. Statt sich weiter meinen Standpunkt auseinanderzusetzen, bekomme ich nur noch Mitleid oder Entschuldigungen, weil ich vermeintlich verletzt bin. Dabei bin ich überhaupt nicht verletzt. Ich bin wütend und würde eigentlich gerne laut rumbrüllen. Aber stattdessen stehe ich da und weine.

Selbst wenn es tatsächlich besondere chemische Signale sind, die die Wut und die Aggressionen meines Gegenübers während eines Streits mindern, handelt es sich hier noch lange nicht um eine feministische Superkraft. Denn dann müsste sich mein Gegenüber meiner Wut in all ihrer Tobsucht aussetzen, meinen Standpunkt und die Berechtigung für meinen Ärger verstehen, statt sie dank meiner Tränen einfach ignorieren zu können. Denn „emotionalisierte“ Frauen argumentieren nicht „rational“, das muss Mann nicht verstehen.

Aggressive Frauen bedrohen die Geschlechterordnung

Inzwischen habe ich akzeptiert, dass ich so bin. Was soll ich sonst machen? „Heulen vor Wut“ ist auch gar nicht so untypisch, zumindest für Frauen: Fast jede zweite hat schon einmal aus Wut geweint. Wut ist die männliche Emotion schlechthin. Werden Frauen offen wütend und aggressiv, insbesondere Männern gegenüber, bedroht das eine schöne, binäre Geschlechterordnung, in der Frauen passiv und leise sind.

Wut ist aktiv und laut. Deshalb wird sie uns sehr schnell aberzogen. Wütende Frauen, die aufbegehren, das lehrt uns die Geschichte und auch unser soziales Umfeld, werden abgestraft und ausgeschlossen. Das gilt auch für People of Colour, die sich gegen ihre Position in einer weißen und rassistischen Gesellschaft wehren, für Women of Colour gleich doppelt. Aggressionen und Wut sind weißen heterosexuellen cis-Männern vorbehalten. Schlägt ein weißer Politiker mit der Faust auf den Tisch und schimpft, ist er ein starker Macher. Wird eine Politikerin wütend, ist sie „unsympathisch“, „schwierig“ und kann ihre Karriere eigentlich gleich an den Nagel hängen.

Also zwingt sich die Wut von Frauen in eine für unser Geschlecht akzeptierte Bahn: Passiv-aggressive, schnippische Kommentare, die berühmte kalte Schulter. Dabei wird die Wut komplett unterdrückt. Bei mir schiebt sich jedoch, wie scheinbar bei vielen Frauen, wenn sie die Wut dann doch versuchen herauszulassen, das einstudierte Rollenbild anders davor: Tränen gelten als Zeichen für Trauer und Verletzlichkeit. Das wirkt passiv, schwach und entspricht patriarchal definierter Weiblichkeit. Indem ich Schwäche zeige, bin ich nicht mehr bedrohlich.

Tränen sind also keine Superkraft, die uns überlegen macht, solange wir in einer Gesellschaft leben, die das Zeigen von Emotionen abstraft.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

Alina Saha

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden