„Da reißt man Träume ein“

Arbeitsmarktintegration Arbeitsmarktberatung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Wünschen von Geflüchteten und ihren begrenzten gesellschaftlichen Chancen

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Die Berufswünsche junger Geflüchteter unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen (Symbolbild)
Die Berufswünsche junger Geflüchteter unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen (Symbolbild)

Foto: Koerner/Getty Images

Geflüchtete verbinden mit dem Leben in Deutschland häufig viele Hoffnungen, etwa darauf, eine relativ gut bezahlte und zukunftssichere Arbeitsstelle zu finden. Ihre realen gesellschaftlichen Chancen sind jedoch in vielen Fällen eingeschränkt, etwa da Qualifikationen aus dem Herkunftsland nicht anerkannt werden, beruflich notwendige Sprachkenntnisse fehlen oder rassistische Diskriminierung einen Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Arbeitsmarktberatung steht vor diesem Hintergrund vor der Herausforderung, berufliche Ziele der Geflüchteten aufzugreifen, gleichzeitig jedoch auf ‚realistische‘ Perspektiven zu drängen, um Frustrationserfahrungen zu vermeiden und einen erfolgreichen Berufseinstieg möglich zu machen.

Ausgangspunkt der Beratung sind in der Regel Arbeitserfahrungen und persönliche Interessen der Geflüchteten, so die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in Hessen. Es gehe darum, „dass […] erst mal geguckt wird, wo Interesse besteht […]. Was bringe ich mit? Was habe ich schon im Herkunftsland an praktischen Erfahrungen in welchem Beruf gesammelt oder Interessen […]. Also das versuchen wir schon immer so umzusetzen. Also dass nicht […] jemand ganz unterschiedliche Interessen hat, eigentlich Friseur, Friseuse werden möchte, und dann aber in der Bäckerei landet.“[1] Die Berufswünsche junger Geflüchteter, berichtet der Mitarbeiter einer Handwerkskammer in Niedersachsen, unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen: „Kraftfahrzeugmechatroniker, Elektroniker aus unserem Bereich. Dort wo wir [Personalgewinnungs-]Probleme haben, wie [im] […] Nahrungsmittel verarbeitende[n] Handwerk, [ist] die Nachfrage […] auch bei den Flüchtlingen nicht wirklich groß.“

Die Vorstellungen der Geflüchteten von Berufen in Deutschland sind dabei häufig diffus, meint der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Hamburg. „Wir machen die Erfahrung in unseren Kursen“, erzählt er, „dass die Vorstellung von der Arbeit und der Realität weit auseinander gehen“. Die Ziele der Geflüchteten werden im Beratungsprozess mit gesellschaftlichen Möglichkeiten abgeglichen, stellt die Mitarbeiterin einer hessischen Agentur für Arbeit fest: „Wo liegen die Ziele, die Interessen […] von dem Individuum und was bringt der halt auch mit? Und […] dann auch gezielt […] nachzugehen. Dann […] zu schauen: Was gibt der derzeitige Arbeitsmarkt her? […] Was haben wir für Möglichkeiten? Und dann halt auch entsprechend mit Vermittlungsvorschlägen da […] anzusetzen.“ Berufliche Perspektiven, die von den Beratenden als unrealistisch eingeschätzt werden – etwa als „hanebüchene[r][…] Arbeitswunsch, Ausbildungswunsch“, „falsche Hoffnungen“ oder „hohe, sehr illusorische Vorstellungen“–, werden zurückgewiesen. Für einige Geflüchteten ist der Realitätsabgleich mit einem Verlust eines Teils ihrer Träume und Hoffnungen verbunden, erzählt ein Berater aus Sachsen: „Da reißt man dann natürlich vielleicht auch Träume ein, aber die gleiche Aufgabe ist es dann natürlich auch wieder zu motivieren und Alternativen zu finden. Das ist auch eine Aufgabe: […] zu schauen, was ist realistisch wirklich möglich“.

Integrationsarbeit ist für eine Mitarbeiterin der Hamburger Agentur für Arbeit dadurch „ein bisschen wie Kinder großziehen im Endeffekt“.[2] Ziel ist es, sagt sie, „dass wir da zwischen Wunsch und Realität unterschieden bekommen“. Dazu sei es notwendig, ergänzt der Mitarbeiter einer zweiten Beratungsstelle in Sachsen, „zu erklären, dass du nicht das werden kannst, was du werden willst, sondern den [Geflüchteten] […] auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Das ist auch keine schöne Aufgabe, denn man will keine Träume zerstören. Aber man muss doch realistisch sein und realistisch bleiben.“ Ausgangspunkt der Einschätzung der Zukunfts- und Berufschancen ist Erfahrungswissen innerhalb der Behörden und Beratungsstellen. „Ich habe jetzt keine […] Statistik darüber, in welchen Bereichen Leute scheitern“, stellt der Mitarbeiter eines Projektträgers in Niedersachsen fest. Für die Geflüchteten sind die in diesem Sinne ‚realistischen‘ Pläne teilweise mit einem deutlichen Statusverlust verbunden, erklärt der erste Berater aus Sachsen: „Gewöhnlich ist es ja schon so, dass wenn Sie Tierarzt irgendwo gewesen sind […], dass Ihnen das eine besondere Stellung eingeräumt hat und hier wird Ihnen gesagt, dass sie […] ein schlechterer Tierpfleger sind“.

Notwendig in der Beratung, um zu einer realistischen Situationseinschätzung zu kommen, sei es für ihn auch, Rassismus als Teil der gesellschaftlichen Normalität anzuerkennen, erzählt der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Hessen. Wenn Geflüchtete über Rassismuserfahrungen berichteten, meint er, „dann fragen wir einfach: ‚Und was wollen wir denn jetzt machen?‘ Wollen wir uns darüber aufregen, wollen wir uns ärgern, wollen wir den Mann schlagen oder [was]? […] Das ist etwas, das war schon immer da. Das wird wahrscheinlich auch erst mal bleiben. Das ist auf jeden Fall noch hier. Vielleicht ist es sogar ein bisschen stärker geworden in den letzten paar Jahren, nachdem das alles bisschen komplizierter und schwieriger wurde. Aber im Endeffekt, was soll man da großartig machen außer: ‚Ihr müsst euch einfach beweisen, müsst […] zeigen, dass ihr es wert seid, dass ihr hier arbeiten wollt, […] dass ihr auch was machen wollt.“ In ähnlicher Art und Weise gelte das auch für die mit prekärer Beschäftigung verbundenen Ausbeutungsstrukturen und Rechtsverletzungen, berichtet die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in Niedersachsen. Es sei „immer schwierig, […] was man den Leuten raten soll. […] Jeder deutsche Student arbeitet unter diesen Bedingungen, macht unter diesen Bedingungen einen Minijob. […] Wenn er nicht arbeiten gehen kann, weil er krank ist, kriegt er kein Geld. Dann einem Geflüchteten zu raten, sich […] aufzulehnen, finde ich […] persönlich schwierig, weil letztendlich wird es darauf hinauslaufen, dass man den Minijob verliert, weil dafür gibt es dann auch einfach genug andere, die das machen können.“

Eine Beratung, die das Ziel vermittelt, in Bezug auf berufliche Perspektiven ‚realistisch zu sein‘ hat vor diesem Hintergrund einen ambivalenten Effekt: Einerseits ermöglicht sie, die eigene Zukunft besser planen zu können und Enttäuschungen zu vermeiden. Andererseits birgt sie die Gefahr, gesellschaftliche Ungleichheit zu normalisieren und einen passiven Umgang mit Diskriminierung und Rechtsverletzungen zu befördern. Ziel sind weniger gesellschaftliche Veränderungen, als eine Hilfestellung, die resiliente und erfolgreiche Strategien innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen ermöglichen sollen. Individuelle Karriereplanung tritt dadurch an die Stelle einer kollektiven Perspektive, die Ungleichheit politisch hinterfragt und kritisiert.

[1] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-11/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

[2] Erwachsene Geflüchtete werden durch ein solches Selbstverständnis von Beratungsarbeit infantilisiert und zu Personen erklärt, mit denen nur begrenzt eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe möglich ist, was dazu führen kann, dass sie (etwa in Behörden) nicht ernst genommen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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