Rassismuserfahrungen beim Berufseinstieg

Arbeitsmarktintegration Flüchtlinge sind in einigen Betrieben rassistischer Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt

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Leider sind immer wieder auch Rassismus-Erfahrungen Teil des Arbeitsalltags von Geflüchteten
Leider sind immer wieder auch Rassismus-Erfahrungen Teil des Arbeitsalltags von Geflüchteten

Foto: Sean Gallup/Getty Images

In Betrieben sind Geflüchtete beim Berufseinstieg in einigen Fällen einer aggressiven rassistischen Diskriminierung und Ausgrenzung durch Kunden oder Kollegen ausgesetzt. Eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt wird dadurch teilweise deutlich erschwert oder sogar verunmöglicht. „Es ist ein raues Klima im Handwerk“, stellt eine Beratungsstellenmitarbeiterin aus Baden-Württemberg fest, „gerade als Schwarzer Mensch muss man schon ein dickes Fell haben. Als Azubi sowieso und dann noch als Schwarzer, da bist du ganz unten in der Hierarchie.“[1] Alltagsrassismus ist dabei nicht immer klar von Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund (formeller oder informeller) betrieblicher Hierarchien zu unterscheiden, erklärt der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Sachsen: „Alltagsrassismus ist oft ziemlich implizit. Ich habe hier keine Geschichten, wo ein Mitarbeiter ‚Affe‘ genannt wurde oder sowas. Eher, dass man das Gefühl hat, man wird ein bisschen ausgegrenzt: Man wird nicht in die Gespräche der anderen Mitarbeiter so richtig mit inkludiert. Man wird vielleicht extra viel an der Spüle eingesetzt. Es wird erwartet, dass du weiterarbeitest, wenn die anderen eine Pause machen. Dass man Überstunden macht. Man wird ein bisschen abfällig behandelt, ohne dass explizit rassistische Kommentare kommen. Aber es ist schwer zu sagen: Ist das Rassismus oder ist es einfach nur Ausbeutung?“ Geflüchtete, stellt ein Mitarbeiter einer Hamburger Berufsschule uns gegenüber fest, müssten in Ausbildungsbetrieben teilweise „auf gut deutsch gesagt die Drecksarbeit leisten und das ist auch diskriminierend.“

Es gebe in Betrieben jedoch auch Fälle offen rassistischer Diskriminierung, erzählt uns ein Mitarbeiter einer anderen sächsischen Beratungsstelle. Er berichtet uns von einem Fall aus Ostsachsen: „das ist so richtige Schikane, dass dann der Schrank zugeklebt wird und Aufkleber drangemacht werden. ‚Du bist hier nicht zu Hause‘. Also diese typischen AfD-Aufkleber.“ Von Vorgesetzten wird der Rassismus dabei in einigen Fällen toleriert oder geduldet, erzählt uns die Mitarbeiterin der Beratungsstelle in Baden-Württemberg. „Ich betreue gerade einen Jugendlichen, der hat eine Einstiegsqualifizierung gemacht Maler und Lackierer und macht jetzt im selben Betrieb die Ausbildung und da habe ich das mitverfolgt, wie dieser Rassismus in den Betrieben ist: unglaublich! Dass die Leute geschützt werden vom Chef“, stellt sie fest. „Der macht sicherlich Sachen falsch, wie jeder Auszubildende, der ist ja da um Sachen zu lernen. Und dann ist er aber Schwarz und wenn Menschen Schwarz sind, dann wird doppelt hingeguckt und dann heißts ‚der Afrikaner‘ kann halt nichts. Und das ist bei ihm auch passiert, dass ein Kollege dann gesagt hat: ‚mit dem Depp, mit dem Neger will ich nicht mehr zusammenarbeiten. Das ist ein Hampelmann, der kann nichts‘. Und dann hat das wie so ein Feuer um sich gegriffen, dann haben immer mehr Leute gesagt, mit dem wollen sie nicht mehr arbeiten. Und die Chefs, die decken dann ihre langjährigen Mitarbeiter. Ist ja nicht so, dass die sagen: ‚Das ist Rassismus, das will ich hier nicht haben.‘“

Andere Betriebe nehmen offenen Rassismus von Teilen der Belegschaft hingegen durchaus als Problem wahr, auch, da sie aufgrund von Bewerbermangel für Lehrstellen auf Beschäftigte mit Fluchthintergrund angewiesen sind. Sie sind jedoch ratlos, wie sie mit rassistischen Vorfällen umgehen sollen, berichtet die Mitarbeiterin einer Hamburger Beratungsstelle: „Es gab Fälle, wo Jugendliche Praxismaßnahmen im Betrieb gemacht haben und wo der Chef gesagt hat, den finde ich total toll den Jugendlichen, den möchte ich hier gerne bei mir haben. Elektriker war es damals und dann irgendwann anrief und sagte: ‚Das kann ich nicht machen, ich habe hier zwei Mitarbeiter, die sich so erschreckend…‘, also er war erschüttert, zutiefst erschüttert, weil er sagte: ‚wir haben hier eine ganz große Baustelle im Betrieb, die mir vorher nicht bewusst gewesen ist, aber die äußern sich dermaßen rassistisch gegenüber dem Praktikanten, das kann ich dem nicht antun, dass der bei mir in die Ausbildung geht. Das kann ich hier nicht machen und ich kann ja auch nicht Mitarbeiter entlassen aufgrund von nichts, also für einen Praktikantenstatus. Und ich habe hier jetzt eine große Baustelle innerhalb meines eigenen Betriebes, wie wir damit jetzt eigentlich umgehen, weil ich möchte das so nicht.‘ Und da hat sich dann glaube ich ein ganz neues Themenfeld für einen Betrieb aufgetan. Zu sagen: ‚Ich habe doch auch den Wunsch an Haltung und an Umgang miteinander, weil sich die Belegschaft verändern wird.‘“

In Extremfällen stehen Geschäftsführungen rassistischen Belegschaften vollkommen hilflos gegenüber, berichtet uns einer der Beratungsstellenmitarbeiter aus Sachsen: „Wir beobachten, dass es sinnvoll wäre, die Einstellung von Geflüchteten mit der Belegschaft zu besprechen. Als Geschäftsführer machst du dir da im Vorhinein nicht so einen großen Kopf, erst wenn du vor die Herausforderung gestellt bist, weil es passiert und deine Belegschaft in irgendeiner Weise reagiert, die du nicht erwartet hast. Das ist zum Teil ein Problem, dass ein Geflüchteter super arbeitet, gute Arbeitszeugnisse bekommt, pünktlich ist, was auch immer. Die Leitungsebene ist zufrieden, aber im zwischenmenschlichen Bereich funktioniert es unter den Kolleginnen und Kollegen nicht. Gerade bei etwas kleineren Betrieben. Wir hatten zwei Fälle, wo die Belegschaft geschlossen auf den Geschäftsführer zugegangen ist und gesagt hat: ‘Hör mal, wir wollen das nicht‘. Und die Entscheidung ist, wenn du halt acht, neun Mann hast… Der saß weinend und sich erklärend uns gegenüber. Aber der sagte: ‚Du das ist mein Leben, ich muss… das ist meine Firma. Ich kann nicht einen beschäftigen und neun rauswerfen.‘“

Dass Betriebe in einigen Konfliktfällen durchaus konsequent Haltung gegen Rassismus zeigen können, verdeutlicht ein anderes Beispiel, von dem uns die Beratungsstellenmitarbeiterin aus Hamburg berichtet: „Der junge Mann saß damals in Abschiebehaft. Der Betrieb kannte den jungen Menschen gar nicht, sondern nur über Hörensagen und hat ihm dann damals den Ausbildungsplatz ungesehen angeboten, was ein Glücksgriff war, für den einen wie für den anderen. Das passte alles ganz wunderbar zusammen. Kleine Glaserei, in einem kleinen Stadtteil ansässig, die so ganz viel klassische Arbeit machte, Spiegel anbringen im Bad und solche Sachen. Wo es Anrufe gab, die mir dann geschildert wurden vom Betrieb: ‚Frau Müller-Meier-Schmidt hat dann angerufen und gesagt: ‚Sie kommen dann ja zum Spiegel anbringen, aber ich möchte nicht, dass sie den Schwarzen da mitbringen. Der kommt mir nicht in die Wohnung.‘' Ich sitze da und sage: ‚Und was haben sie gemacht?‘ ‚Ja, dann muss Frau Müller-Meier-Schmidt sich halt eine andere Glaserei suchen. Das ist mein Mitarbeiter und wenn sie meinen Mitarbeiter nicht im Hause haben will, dann geht das nicht. Weil das ist der Mitarbeiter, der das jetzt auch schon alleine kann und dann geht der da hin und hängt den Spiegel auf und wenn ihr das nicht passt, geht’s halt nicht.‘“ Das mache aber natürlich nicht jeder Betrieb, was auch nachvollziehbar sei, „gerade wenn es kleine Familienbetriebe sind mit nur einem Mitarbeiter oder nur dem Inhaber und einem Auszubildenden, wenn sie Angst haben überhaupt Aufträge zu bekommen.“

Für die Geflüchteten kann Rassismus beim Berufseinstieg und im betrieblichen Alltag jenseits der unmittelbaren Folgen für ihre Arbeitsmarktintegration (z.B. dass sie entlassen oder gar nicht erst eingestellt werden) mit schwerwiegenden psychischen Konsequenzen wie Depressionen, Zwangserkrankungen, Suchterkrankungen und anderen gesundheitliche Beschwerden einhergehen. Die Fallbeispiele zeigen erstens, dass ein flächendeckendes Netz an Opferberatungsstellen gegen Diskriminierung sowie rechte und rassistische Gewalt notwendig ist, um Betroffene gegebenenfalls begleiten und unterstützen zu können. Zweitens verweisen sie auf den Beratungsbedarf von Betrieben, die Geflüchtete beschäftigen. Willkommenslotsen und Integrationsmoderatoren begleiten daher Betriebe im Prozess der Arbeitsmarktintegration aktiv, wobei sie teilweise auch Belegschaften in Entscheidungsprozesse mit einbinden. Drittens wird deutlich, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Antirassismus und die präventive Durchsetzung eines interkulturellen Universalismus auf betrieblicher Ebene als Querschnittsaufgabe ihrer politischen (Bildungs-)Arbeit begreifen sollten. Für Gewerkschaften untergraben rassistische Übergriffe im Betrieb die eigene Arbeitsgrundlage: die Solidarität zwischen Beschäftigten. Für Betriebe haben sie zur Folge, dass ihnen qualifizierte und motivierte Beschäftigte verlorengehen. Es sei bisher schwierig gewesen, eine Lernortkooperation mit den Betrieben zu etablieren, erzählt uns der Mitarbeiter der Hamburger Berufsschule, „um sie ein bisschen sensibler zu machen für Diskriminierung. Was ich mir wünschte, ist eine Fortbildung für die Betriebe anbieten zu können: wie gehen wir eigentlich im Betrieb mit den Geflüchteten um, um diskriminierungssensibel zu werden, um nochmal auf die sprachlichen Schwierigkeiten zu gucken, um Unterstützungsmöglichkeiten zu eruieren.“

[1] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-09/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich leicht geglättet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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