Verloren in der Berufsschule

Arbeitsmarktintegration Nicht nur fehlende Sprachkenntnisse und Lernschwierigkeiten, sondern auch Diskriminierungserfahrungen erschweren Flüchtlingen in einigen Berufsschulen den Alltag

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Verloren in der Berufsschule

Foto: Imago images / fossiphoto

Viele Geflüchtete, die eine Ausbildung aufnehmen, haben Schwierigkeiten in der Berufsschule. Neben Sprachkenntnissen und Lernschwierigkeiten sind dafür auch Ausgrenzungserfahrungen verantwortlich. Um es den Flüchtlingen zu ermöglichen, den berufsschulischen Teil der Ausbildung erfolgreich zu absolvieren, ist daher ein konsequentes Engagement von Berufsschulen und Lehrkräften gegen Diskriminierung erforderlich.

Berufsschulen, erklärt die Mitarbeiterin einer Bildungseinrichtung in Bayern, seien für Geflüchtete, die zuvor Sprachkurse oder auf sie zugeschnittene Bildungsangebote absolviert hätten und in ihrer Lebenswelt (z.B. in ihren Unterkünften) von anderen Geflüchteten umgeben waren, teilweise „eine ganz andere Welt: Plötzlich nur mit Deutschen, nur auf Deutsch, nicht mehr Deutsch als Fremdsprache, sondern Deutsch, wie gesagt, ein bisschen bayrisch schon. Und ein Tempo, das deutlich schneller war“.[1] Arbeitgeber hätten zudem teilweise Schwierigkeiten, Auszubildende zu finden und stellten daher auch Auszubildende mit schwächeren Deutschkenntnissen ein, die dann kaum Chancen in der Berufsschule hätten, berichtet uns ein Gewerkschafter aus Hamburg. Die Fachsprache in der Berufsschule, erklärt uns ein Berufsschüler mit Fluchterfahrung aus Baden-Württemberg, unterscheide sich stark von der Alltagssprache: „Alle sagen zu mir: Du sprichst super Deutsch! Aber als ich in die Berufsschule gekommen bin, war es sehr schwer mit den Begriffen und vielen anderen Sachen. Ich habe gedacht: ‚Das ist eine andere Sprache, das ist kein Deutsch!‘.“[2] Ähnlich sieht das auch der Mitarbeiter einer IHK in Niedersachsen. Er habe, um zu verdeutlichen, wie schwierig eine Ausbildung sei, eine alte Prüfung genommen und alle Fachwörter, „die man so nicht im Sprachkurs lernt, grün getextmarkert. Am Ende war die halbe Prüfung grün.“ Hinzu kämen Lernschwierigkeiten aufgrund traumatischer Erfahrungen und psychischer Belastungen, erzählt uns eine Berufsschullehrerin aus Sachsen: „Du konntest sehen und spüren, wie verletzt sie waren oder wie verletzlich sie noch sind. Du kannst noch die Spuren von Wunden sehen, von Angst und Terror. Sehr viele waren noch so unruhig, dass sie nachts nicht schlafen konnten und in der Schule haben sie sich irgendwie in Sicherheit gefühlt und da haben sie ganz gut geschlafen.“ Berufsschulen sind nur unzureichend in der Lage, bei fehlenden Sprachkenntnissen oder Lernschwierigkeiten einen erfolgreichen Abschluss des schulischen Teils der Ausbildung zu ermöglichen.

Soziale Kontakte mit in Deutschland aufgewachsenen Schülerinnen und Schülern aufzubauen, erweist sich für Geflüchtete teilweise als schwierig. In ihrem Projekt, das an einer Berufsschule angesiedelt ist, so die Mitarbeiterin eines sächsischen Projektträgers, hätten sie viele Veranstaltungen für die Sozialintegration gemacht, dabei jedoch festgestellt, „dass die soziale Integration mit Schülern hier zum Beispiel der Berufsschule immer dann funktioniert, wenn wir alle zusammensitzen, das aber nicht in die Freizeit übertragen wird“. „In einer Berufsschule findet man keine Freunde. Das hat auch die Lehrerin gesagt. Alle haben schon ihre Freunde und kommen nur einmal die Woche dahin, da bilden sich keine Freundschaften“, erzählt uns eine Ehrenamtliche aus Niedersachsen. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Geflüchtete aufgrund ihrer Vorgeschichte deutlich älter sind als die restlichen Schüler ihrer Klasse. Die Folge sei, dass sich ältere Geflüchtete in ein schulisches System einfügen müssten, berichtet die Mitarbeiterin einer IHK in Baden-Württemberg, „wo sie dann mit pubertierenden Jugendlichen in der Klasse sind. Die Jugendlichen in der Schule, wenn da auch Rechte unterwegs sind, sind erbarmungslos.“ Ältere Geflüchtete müssten, „zudem als Frau, wenn sie in der Klasse zehn Jungs haben, damit leben, dass einer sagt: ‚Alte Tante‘ oder ‚Oma‘.“ Auch wenn dies „nicht mal böse gemeint“ sein müsse, könne sich das, wenn man es „als Mensch nicht auffangen kann, sondern als eine Kränkung erlebt, auch auf die Erfolge in der Ausbildung negativ auswirken.“ Ältere Geflüchtete, so der Gewerkschafter aus Hamburg, hätten teilweise „starke Angst vor dem Lernen, vor der Theorie, weil sie viele Jahre nicht zur Schule waren. Das ist teilweise zwanzig Jahre her und dann müssen sie lernen zu lernen.“ Lehrkräfte verstärkten in einigen Fällen die Ausgrenzung von Geflüchteten, stellt der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle fest. So habe eine Berufsschullehrerin zu einem Geflüchteten gesagt: „Sie sehen ja so aus, als wären Sie in Kakao gefallen.“ Wenn man so etwas „als Autoritätsperson, als Lehrerin“ sage, habe derjenige verloren: „Das geht nämlich so, wie es in der Stunde gesagt wurde in der Pause weiter. Und das ist eine Spirale, die sich selbst mit einer Intervention von außen kaum aufhalten lässt.“ In einigen Fällen hätten die Ausbildungsbetriebe sich bemüht einzugreifen, aber der Schuldirektor habe die Lehrkräfte verteidigt: „Das wäre doch alles nicht so schlimm“.

Folge der Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen können Angst oder sogar psychosomatische Beschwerden sein, erklärt die Mitarbeiterin der IHK. Es gebe „diejenigen, die auf dem Schulhof stehen und sagen: ‚Ich habe Kopf- und Bauchschmerzen, ich kann nicht in die Klasse, weil meine Sprache ist so schlecht, ich kann mich gar nicht behaupten.‘ Und dann kommen Schamgefühle, wenn der Lehrer etwas fragt. Ich kann nicht antworten, so wie es von mir erwartet wird und gleichzeitig bin ich aber diesen jungen Mitschüler vom Alter her… Überlegener ist nicht das richtige Wort, ich bin einfach älter. Und jetzt muss ich mich da bloßstellen lassen erstmal.“ Um sich dem nicht immer wieder aussetzen zu müssen, entschieden sich manche Geflüchtete lieber gleich arbeiten zu gehen anstatt eine Ausbildung anzufangen: „Ich werde keine Ausbildung machen, weil Ausbildung bedeutet eben: Besuch der Schule.“ Es sei besonders schmerzhaft zu sehen, wenn eine Ausbildung an Diskriminierung in der Berufsschule scheitere, stellt der Mitarbeiter der sächsischen Beratungsstelle fest, „wenn es jetzt das Wissen ist, die Sprache ist, irgendwelche anderen Sachen: ok. Aber so etwas, was eigentlich nicht sein müsste!“

Die Erfahrungen von Geflüchteten in Berufsschulen unterscheiden sich stark, es gibt in unseren Interviews auch sehr positive Berichte. „Ich habe viele nette Schulkameraden gehabt, die mir immer geholfen haben“, stellt der Berufsschüler aus Baden-Württemberg fest, „und die Lehrer auch“. Ehrenamtliche Nachhilfelehrer – sei es aus dem privaten Umfeld, aus zivilgesellschaftlichen Initiativen oder aus dem Betrieb – tragen entscheidend zum Erfolg von Geflüchteten in der Berufsschule bei. Voraussetzung für positive Erfahrungen ist ein Schulklima, das Diskriminierung und Ausgrenzung verhindert. Das erfordert, stellt der Mitarbeiter der sächsischen Beratungsstelle fest, „dass auch die Lehrer mit diesem neuen Umfeld besser umzugehen lernen und Strategien an die Hand bekommen, dass sie so etwas gar nicht erst zulassen und nicht unbedarft oder unterbewusst fördern.“ In Berufsschulen, in denen die Lehrkräfte auf einen guten Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander achteten, sei es auch nicht so, dass ältere Geflüchtete besondere Schwierigkeiten hätten, erzählt der Gewerkschafter aus Hamburg. Diese seien „manchmal sogar Respektspersonen, die haben oftmals schon auf dem Bau gearbeitet im Heimatland und haben mehr Vorbildung, sind dann auch schon kräftiger, das geht eigentlich ganz gut. Ich habe nicht festgestellt, dass die sich die Butter vom Brot nehmen lassen. […] Die sind dann fleißiger als der Rest. Die haben teilweise schon Kinder und die geben alles. So einen würde ich als Bauunternehmer sofort einstellen. An dem hast du Spaß.“

[1] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-09/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

[2] Ausschnitte aus diesem Interview, das von Anne Frisius geführt wurde, sind in ihrem Dokumentarfilm „‘Der Staat schafft ein Prekaritätsproblem‘. Restriktive Asylpolitik erschwert die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ dokumentiert, der kostenlos online verfügbar ist.

Eingebetteter Medieninhalt

Eine gedruckte Version des Artikels ist in der Zeitschrift express erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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