ARD-Werbespot: Ey, null Bock auf Schiller oder wie der heißt!

Meinung Nur ein Fauxpas? Björn Hayer ist erschrocken über den neuen Werbespot der ARD Kultur – und fragt sich, wie es so etwas überhaupt in die Öffentlichkeit schafft
Ausgabe 46/2023
Klassiker im Ersten: Der Wetterbericht, präsentiert von Karsten Schwanke
Klassiker im Ersten: Der Wetterbericht, präsentiert von Karsten Schwanke

Foto: ARD/Ralf Wilschewski

Na, was ist denn da los? Eine neue Werbung der Telekom, die für spaßiges Telefonieren anstatt schnödes Theater wirbt? Zumindest die Magenta-Hintergrundfarbe eines derzeit auf den sozialen Netzwerken kursierenden Clips lässt einen anfangs noch an das bekannte Kommunikationsunternehmen denken.

Aber weit gefehlt, und die Telekom ist werbetechnisch ja auch lange nicht so hinterwäldlerisch. Der Clip entstammt der ARD Kultur, also einer Abteilung, von der man – eigentlich! – ein ausgeprägtes Sensorium für die Bedürfnisse und Relevanz künstlerischer Arbeit erwarten dürfte. Frei Schnauze adressiert man darin stattdessen „alle, die null Bock auf Theater haben“. Und damit auch die nicht so Lesekompetenten mitkommen, wird die Ansprache illustriert, nämlich mit zerrissenen Eintrittskarten.

Für euch alle da draußen, die ganz dem Vorurteil nach Bühnenstücke für elitäres, ödes Zeug halten, ja, für euch alle „gibt’s“, so die zweite Einblendung, in der Mediathek „auch Konzerte, Kino oder Comedy“. Mensch, jetzt seid ihr aber geflasht! Was man sich da alles vom Sofa aus reinziehen kann, zum Beispiel die ganze Welt der TV-Comedy wie Kebekus, Sträter & Nuhr. Sogar Konzerte und Kino!

Aber ohne Quatsch: Wie konnte es so ein Spot überhaupt in die Öffentlichkeit schaffen? Einer, der unverblümt und in hippem, vermeintlich für ein junges Publikum designtem Design eine zentrale Säule des kulturellen Lebens mal eben zu Omas alter Küche erklärt? Eine Sprecherin der ARD teilt auf Anfrage mit, dass die „Kampagne (…) mit mehreren Anzeigen für die Vielfalt der Kultur (wirbt), die auch auf ardkultur.de als neuem digitalen Angebot abgebildet wird.“ Ferner läge es „uns völlig fern, Kulturbereiche in ein schlechtes Licht zu rücken. Wir bedauern, dass bei einigen dieser Eindruck entstanden ist. Das war nicht unsere Absicht, und dafür bitten wir um Entschuldigung. Denn selbstverständlich schätzen wir Theater in all seinen Formen und Facetten. Wir haben uns deshalb entschlossen, dieses Social-Media-Motiv nicht weiterzuführen.“

Na, gerade noch so die Kurve gekriegt! Zählt doch Kultur in ihrer Gesamtheit zum Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Als Fauxpas kann man vielleicht noch süffisant über diese absurde Entweder-oder-Werbung lachen, doch sie fügt sich in eine seit Jahren zu beobachtende Tendenz bei ARD und ZDF ein: die zunehmende Entfremdung gegenüber der Kultur. Wer sie nicht in den wenigen nächtlichen Spartenmagazinen verfolgt, findet Berichterstattung zu ihr allenfalls noch in Regionalsendern. Sogar bei Letzteren wird vermehrt die Axt angelegt. Man denke nur an die zuletzt angekündigten Kürzungsvorhaben beim Bayerischen Rundfunk. Klar, der Apparat der Öffentlich-Rechtlichen soll infolge des Schlesinger-Skandals effizienter werden.

Wenn die Social-Media-Abteilung der ARD Kultur – wenn auch versehentlich – nun nicht mehr selbst für die Berichterstattung zu allen Bühnenkünsten eintritt und zum Seichten rät, hat das jedoch eine ganz neue Qualität erreicht, die uns nur mit Schrecken erahnen lässt, was in Redaktionssitzungen sonst noch hinter verschlossenen Türen ausgeheckt wird. Wenn es euch aber, liebe Programmverantwortlichen, tatsächlich am Herzen liegt, „Theater in all seinen Formen und Facetten“ darzustellen, dann beweist doch einfach Mut und besprecht vor den Sport- oder Börsennachrichten zukünftig einfach mal eine Theaterpremiere. Spätestens beim Wetterbericht sind ja dann alle, auch die vermeintlich Eingeschlafenen, wieder an Bord.

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